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Reiz an Tolkien durch seine fragmentarische Unvollkommenheit


raukothaur

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"Olore Malle" bedeutet übersetzt: "Pfad der Träume".

Das steht im Anhang oder so. ;)

Fragt sich aber, ob der Olore Malle etwas träumerisch Abstraktes oder eben physisch Begehbares sein soll, da es im Hinblick zum Belegen der "Unfähigkeit" und Co imho wichtig ist, da, wenn der Olore Malle letzteres sein sollte, der Beleg hier nicht angewandt werden kann. 

Edit:

Es scheint hier im Forum auch gar nicht (nach kurzer Suche) geklärt zu sein, was genau (bzgl. meiner zwei Punkte) der Olore Malle sein soll. Hättest Du Interesse (da das hier zunehmend sonst off-topic wird) das woanders zu besprechen?

Bearbeitet von seregthaur
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Gast Dunderklumpen

"Olore Malle" bedeutet übersetzt: "Pfad der Träume".

Das steht im Anhang oder so. ;)

 

 

Nein, das steht im Text selber. ->

"The lane called Olore Malle or The Path of Dreams". Kurz danach wird noch einmal - ohne Erwähnung von Olore Malle - von "the lane of dreams" gesprochen.

 

Da die Hütte "Hütte des Spiels des Schlafs" - "Cottage of the Play of Sleep" - heißt, ist auch klar, dass die Kinder nur im Schlaf dorthin kommen.

 

Mehr kann ich dazu nicht sagen.

Bearbeitet von Dunderklumpen
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Gast Dunderklumpen

Noch eine Rückfrage an sereghtaur, von dem folgendes Zitat stammt:

 

 

da es im Hinblick zum Belegen der "Unfähigkeit" und Co imho wichtig ist, da, wenn der Olore Malle letzteres sein sollte, der Beleg hier nicht angewandt werden kann.

 

Wieso hätte in dem Fall mein Beleg nicht angewandt werden können? Was als Beleg galt, hatte ich aus dem ersten Kapitel der Lost Tales zitiert, ich zitiere es noch einmal ->

 

 

Ja, es gab sogar einige, die in Kor gewesen und danach heimgekehrt waren, und ihre Gedanken und und Herzen waren des Staunens voll. Aus den verschwommenen Erinnerungen jener, aus ihren unfertigen Erzählungen und abgebrochenen Liedern erwuchsen viele sonderbare Sagen, welche die Menschen lange entzückten und es vielleicht noch immer tun: Aus diesen Kindern nämlich wurden die Dichter der Großen Lande.

 

 

Ist nachvollziehbar, was ich mit diesem Zitat sagen wollte? Die Frage geht auch an Joran und natürlich überhaupt an alle, die sich für das Thema interessieren.

 

 

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Wegen

Damit ist - innerhalb der Lost Tales - die Methode erläutert, durch die Menschen an die Sagen und Erzählungen gekommen sind: durch unklare Traumerinnerungen.

&

Die "Unfähigkeit", vollkommen zu sein, basiert also auf dem literarischen Konzept: die Erzählungen und Sagen stammen aus dem Unterbewussten, das immer nur fragmentarisch oder gar fetzenhaft zur Verfügung steht und in dichterischer und auch sonderbarer Weise zu literarischen Werken geformt wird.

Demnach müsste der Olore Malle als etwas träumerisch Abstraktes interpretiert werden, da "Traumerinnerungen" und das "Unterbewusste" nicht zu einer Interpretation des Olore Malles als etwas physisch Begehbares passen.

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Gast Dunderklumpen

Demnach müsste der Olore Malle als etwas träumerisch Abstraktes interpretiert werden, da "Traumerinnerungen" und das "Unterbewusste" nicht zu einer Interpretation des Olore Malles als etwas physisch Begehbares passen.

 

Wieso? Ich verstehe Deine Argumentation nicht einmal im Ansatz.

 

Ich zitere noch einmal, was ich zitiert habe und welche Schlussfolgerung ich gezogen habe - obwohl ich nicht einmal schlussgefolgert habe, sondern nur noch einmal wiederholt habe, was in dem Werk gesagt wird:

 

 

Und jetzt folgt das Zitat, von dem ich sprach:

 

Ja, es gab sogar einige, die in Kor gewesen und danach heimgekehrt waren, und ihre Gedanken und und Herzen waren des Staunens voll. Aus den verschwommenen Erinnerungen jener, aus ihren unfertigen Erzählungen und abgebrochenen Liedern erwuchsen viele sonderbare Sagen, welche die Menschen lange entzückten und es vielleicht noch immer tun: Aus diesen Kindern nämlich wurden die Dichter der Großen Lande.

 

HIer wird also hergeleitet, dass aus den verschwommenen Erinnerungen an Trauminhalte unfertige Erzählungen und abgebrochene Lieder entstanden waren, die wiederum zu sonderbaren Sagen führten. Und dass es Dichter waren, die aus diesen unklaren Traumerinnerungen diese Erzählungen und Sagen geformt haben.

 

Damit ist - innerhalb der Lost Tales - die Methode erläutert, durch die Menschen an die Sagen und Erzählungen gekommen sind: durch unklare Traumerinnerungen.

 

Ich habe da null interpretiert, sondern einfach nur nacherzählt, was die Hausherrin Vaire erzählt.

 

Wüsste gerne, was Du überhaupt sagen willst. Ich habe extra die Worte noch einmal gefettet, auf die es mir ankommt. Verschwommene Erinnerungen sind nun mal verschwommene Erinnerungen. Die, die in der Hütte waren, hatten keine klare Erinnerungen daran , sondern verschwommene. Daraus fertigten sie keine vollkommenen, sondern unfertige Erzählungen. Steht alles wörtlich im Text. Abgebrochene Lieder sind abgebrochene Lieder, da gibt es doch auch nichts zu interpretieren. Unfertige Erzählungen kann man als Fragmente bezeichnen, abgebrochene Lieder kann man auch als Fragmente bezeichnen.

 

 

Wo liest Du im Text irgendetwas von "begehbar" und "nicht begehbar"? Wo schränkt die Erzählerin ihre Aussage ein? Wo sagt sie, dass es nur stimmt, was sie sagt, wenn der Olore Malle abstakt ist?

 

 

Ich ahne zwar dunkel, welche Fragestellung Du hast, aber diese wäre dann textfern. :-O Bzw. Basisdiskussion, ob eine literarische Brücke begehbar ist oder nicht. Oder ob der Stuhl, auf dem ich im Traum gesessen habe, ein besetzbarer Stuhl ist oder nicht.

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Ich ahne zwar dunkel, welche Fragestellung Du hast, aber diese wäre dann textfern.

Ja, ich habe ziemlich textfern gesprochen und mich nicht auf Dein Zitat aus den Verschollenen bezogen.

Das ist hier wahrscheinlich nur ein Missverständnis, da ich mich zu rhapsodisch ausgedrückt habe, weil ich ein wenig faul war. Ich versuche, das jetzt möglichst verständlich zu erläutern.

Für mich ist es wichtig, interpretatorisch festzuhalten, was der Olore Malle sein soll, um dies auf Nietzsches Zitat entweder anwenden zu können oder nicht. Von daher meine beiden möglichen Interpretationen des täumerischen Abstrakten und des physisch Begehbaren. Mit dem "träumerisch Abstrakten" ist gemeint, dass die Menschen, die den Olore Malle besuchen, 'nur' im Traum oder im Geiste wahrnehmen, nicht aber mit ihrem Körper tatäschlich dort entlanggehen, sondern irgendwo in Mittelerde schlafen. Mit dem "physisch Begehbaren" ist gemeint, dass die Menschen, die den Olore Malle besuchen, tatsächlich auch körperlich dort entlanggehen und Mittelerde folglich verlassen. 

Für mich ist in den Verschollenen offen gelassen, was davon zutrift, weswegen mich diese Fragestellung seit dem Lesen der Verschollenen ziemlich interessiert und durch Dein Einbringen des Olore Malles hier im Thread wurde dieses Interesse nochmal verstärkt. 

Da Du ungefähr geschrieben hast, dass Tolkiens Unvermögen oder auch ein allgemeines Unvermögen durch diese Träume und das Unterbewusste bedingt ist -

die Visionen seien notgedrungen verschwommen, weil der Mensch eben nur verschwommene Erinnerungen aus dem Unterbewussten geliefert bekomme.

- habe ich daraus abgeleitet, dass in dem Falle der Olore Malle als etwas träumerisch Abstraktes interpretiert werden müsste, damit das mit den lückenhaften Erinnerungen aus potentiellen Träumen passt.

Ich habe mich also nicht wirklich auf Dich bezogen, sondern diesen Deinen Post dazu verwendet, meine offene Fragestellung zum Olore Malle damit zu verknüpfen.

Ich hoffe, das ist jetzt verständlich genug ausformuliert. :-)

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Gast Dunderklumpen

Ohne mich erst mal vollständig in Dein post zu vertiefen, zwei Punkte:

 

1. Könnte es sein, dass Du innerlich ablehnst, dass Tolkien mit "Olore Malle" den Traumpfad definiert hat? Dass Du irgendwie innerlich daraus etwas anderes basteln willst, damit Du Tolkiens Erzählung nicht folgen musst?

 

2. Und könnte es weiterhin sein, dass Du darum konsequent meine Argumentation - dass ich mich nicht auf den Olore Malle bezogen habe, sondern auf die Fragmenthaftigkeit der Sagen bei den Menschen - in den Wind schlägst, weil Du der Erzählerin in der ersten Geschichte nicht glauben willst und ihr ein falsches Denken unterschieben möchtest?

 

Es spielt in meiner Argumentation nicht ein Fetzelchen eine Rolle, ob der Olore Malle begehbar ist oder nicht, ob sie im Traum dort hingehen oder im Wachschlaf oder gar ihr Bett verlassen. In allen diesen Fällen bleibt sich eines gleich: Wenn die Wandernden wieder zurück sind, können sie sich nur noch fetzenhaft an das Erlebte erinnern.

 

Läuft Deine Argumentation also darauf hinaus, dass Du leugnen willst, dass die Zurückgekehrten sich nur noch fragmentarisch an das Erlebte erinnern? Willst Du es also lieber haben, dass die Zurückgekehrten sich voll an das Erlebte erinnern, so wie jemand, der gestern in Irland war?

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1. Nein, aber ich kann mit der Übersetzung "Traumpfad/Pfad der Träume" allein nichts anfangen. Von daher mein Interesse an einer genaueren Interpretation des Olore Malles.

 

2. Ich möchte mich basierend auf einer möglichen Interpretation des Olore Malles auf die Fragmenthaftigkeit Tolkiens in Relation zu Nietzsche beziehen. Von daher interessiert mich das Zitat in den Verschollenen tatsächlich nicht.

 

Wenn die Wandernden wieder zurück sind, können sie sich nur noch fetzenhaft an das Erlebte erinnern.

Das ist wohl das Problem. Für mich müsste man sich bei etwas physisch Begehbarem besser an das Erlebte erinnern, da man es bewusst erlebt hat. Von daher habe ich zwischen "träumerisch Abstrakt" und "physisch Begehbar" differenziert, wo Du anscheinend nicht unterscheidest.

dass Du leugnen willst, dass die Zurückgekehrten sich nur noch fragmentarisch an das Erlebte erinnern?

Genau, hier kommt es darauf an, wie man den Olore Malle interpretiert. Bei der "physisch Begehbaren" Interpretation leugne ich nämlich das Fragmentarische. Also hier würde das dann passen:

dass die Zurückgekehrten sich voll an das Erlebte erinnern, so wie jemand, der gestern in Irland war?

Bei der "träumerisch Abstrakten" Interpretation jedoch leugne ich das Fragmentarische nicht, sondern im Gegenteil. 

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Gast Dunderklumpen

Wenn die Wandernden wieder zurück sind, können sie sich nur noch fetzenhaft an das Erlebte erinnern.

Das ist wohl das Problem. Für mich müsste man sich bei etwas physisch Begehbarem besser an das Erlebte erinnern, da man es bewusst erlebt hat.

 

Da sie laut Tolkiens Erzählung sich aber nicht besser daran erinnern, ist doch klar, dass Deine zweite Variante entweder nicht in Frage kommt oder sie so beschaffen ist, dass die Menschen sich dennoch nicht daran erinnern.

 

Damit ist die Frage doch beantwortet.

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Stimmt.
Dann ist eine Interpretation des Olore Malles ziemlich Werk irrelevant und es ist in den Verschollenen gleich, ob er etwas träumerisch Abstraktes oder physisch Begehbares darstellt.
Hier zieht dann wahrsch. wieder das Fetzenhafte, insofern dass sich jeder selbst aussuchen kann, wie der Olore Malle in den Verschollenen erlebt wird. Was wiederum wohl den Reiz an der 'unvollkommenen' Erzähltechnik bestätigt.
Kann man das so sagen? ;)

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Gast Dunderklumpen

Der Olore Malle ist ja laut Erzählung geschlossen. Da kann keiner mehr durch. Der Kontakt zwischen den Menschen - innerhalb der Erzählung - und Valinor ist gekappt, Funkstille.

 

Darum wurde ja als Ersatz auf Tol Eressea von den Exilelben die Hütte des Vergessenen Spiels aufgebaut.

 

Die vielen Kinder in dieser Hütte nun sind - werd das in den nächsten Tagen noch mal lesen - offenbar menschliche Kinder, die vor langer Zeit aus irgend einem Grund hiergeblieben sind.  Von den Großen Landen hingegen kommt da kein menschliches Kind hin, aber einige Kinder der Hütte suchen von dieser Seite aus den Kontakt zu den Kindern der Großen Lande, wenn diese abends in ihren Betten weinen oder verzweifelt sind.

 

Tolkien hat den Olore Malle gekappt, nachdem er die "Lost Tales" abgebrochen hat.

Allerdings lebt die Grundidee später im "Geraden Weg" wieder auf. Und auch der Olore Malle taucht in den späten Vierzigern wieder auf, in einer Notiz Tolkiens.

 

Immer aber wird der Grundgedanke variiert: Menschen haben den Weg zum Unsterblichen verloren, sie suchen den Weg, es kommen einzelne Berichte, ungenaue Berichte, und die meisten scheitern bei der Suche.

 

 

Wenn man als Leser das deuten möchte, dann könnte man das zum Beispiel so tun, dass die Menschen der Neuzeit nicht in der Lage sind, mit dem "göttlichen Urgrund" mühelosen Kontakt zu haben, es kommen aber dennoch immer "Botschaften" durch, sprich:

der göttliche - vielleicht kollektive - Urgrund ist nicht stumm, er redet. Aber man muss die Wahrnehmungsorgane schulen.

 

 

 

 

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  • 2 Wochen später...
  • 2 Monate später...

Seregthaur hat mich auf diese Diskussion aufmerksam gemacht. Ich kann nicht auf dem hohen literaturwissenschaftlichen und philosophischen Niveau, die diese und manch andere Diskussion (Gott sei Dank) erreicht hat, argumentieren, aber ich möchte Euch ein paar Gedanken eines ‚geneigten Lesers‘ nicht vorenthalten.

 

Als ich an einem Ostermontag vor 34 Jahren das Silmarillion als erstes Buch von Tolkien überhaupt in die Hand gedrückt bekam, waren es nicht die eigentlichen Geschichten mich so sehr faszinierte, dass ich es bis zum nächsten Vormittag vollständig gelesen hatte, die waren anfangs eher verwirrend. Aber dies Buch hat mich zum Staunen gebracht, wie wenige vorher oder auch nachher. Zum Staunen über ein eigenes Universum mit all seiner unerschöpflichen Fülle, die sich in diesen kurzen Texten andeuteten.

 

Schon aus diesen wenigen Fragmenten wurde für mich jedoch deutlich, dass Tolkien kein in sich widerspruchsfreies Universum geschaffen hatte. Ich frage mich, ob er es je wollte. In all den Wandlungen, die sich dann aus den später veröffentlichten Entwürfen, Textfragmenten und Variationen zu einem Thema aus den Nachrichten aus Mittelerde und den Büchern der verschollenen Geschichten ergaben, zeigt sich für mich die fortwährende Auseinandersetzung Tolkiens mit seinem eigenen (unvollständigen?) Werk. Auch das, was ich in diesem Forum über die History of Middle-Earth gelesen habe bestärkt mich in dieser Annahme.

 

So wie wir aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse unsere Welt stets neu definieren, so hat auch Tolkien seine Kosmologie immer wieder in Frage gestellt. Wir haben es nicht mit einem abgeschlossenen Werk, einem in sich geschlossenen Kosmos, zu tun, sondern mit (teilweise auch in sich selbst unvollständigen) Fragmenten. Arda und seine Entwicklung ist in sich widersprüchlich. Das macht für mich viel vom Reiz von Tolkiens Welt aus.

 

Derzeit lese ich ‚The History oft the Hobbit‘ und auch aus der Entwicklungsgeschichte des Hobbits wird für mich deutlich, dass Tolkien jede Geschichte bei der Überarbeitung neu erfinden konnte. Der Hobbit ist vielleicht das einzige vollständig fertiggestellte Werk Tolkiens, das Arda/Mittelerde zuzurechnen ist.

 

Soweit ich weiß, wollte Tolkien den Herrn der Ringe noch um viele Geschichten ergänzen; z.B. musste die (Liebes)Geschichte von Arwen und Aragorn in die Anhänge weichen, weil der/die erste/n Band/Bände bereits veröffentlich waren. Darüber hinaus wurde Tolkien von seinem Verleger zur Vollendung des dritten Bandes gedrängt. Insofern könnte Der Herr der Ringe (vielleicht) auch unvollständig in dem Sinne, dass er nicht dem entsprach, was Tolkien eigentlich veröffentlichen wollte.

 

 

Doch um auf die Ausgangsfrage zu kommen, ob das letzte Unvermögen zur Vollendung den Reiz des Werks von Tolkien ausmacht, so kann ich dies für mich nur mit einem klaren Ja beantworten.

 

Die Frage ist für mich, ob Tolkien in Nitzsches Sinne unvermögend war, ein in sich abgeschlossenes Gesamtwerk zu schaffen. Auch auf diese Frage komme ich für mich auf ein Ja als Antwort.

 

Vielleicht kann jemand ergründen, ob Tolkien das Zitat von Nitzsche kannte – und dann ggfs. auf seine eigene Situation angewendet hat.

 

Jetzt wage ich einmal eine (vielleicht) gewagte These. Ich persönlich glaube, Tolkien war sich dieses Unvermögens zur Vollendung seines Werkes über Mittelerde/Arda sehr bewusst.

 

In „Blatt von Tüftler / Leaf by Niggle“ beschreibt Tolkien genau diese von Nitzsche beschriebene Situation. Tüftler/Niggle besitzt die handwerklichen Fähigkeiten zu einem großen Werk, ist jedoch nicht in der Lage den Baum als Ganzes fertigzustellen, weil er sich ständig in Details ‚verliert‘, immer neue ‚Visionen‘ hat. Gleichwohl stellt das einzelne Blatt ein in sich geschlossenes Kunstwerk dar. Nur erntet Tüftler eher Hohn und Spott und keine Anerkennung ob seiner Unvollkommenheit. Erst nach seiner Reise wird der Wert seiner Arbeit erkannt und gewürdigt, auch oder gerade weil das ‚Bild‘ auch in dieser Geschichte nicht fertig gestellt wird, denn am Ende lockt wieder der unbekannte Horizont und all das, was sich dahinter verbirgt.

 

„Blatt von Tüftler“ ist für mich das am schwierigsten zu interpretierende Werk Tolkiens. Die 2007 begonnene Diskussion / Interpretation wurde nach Wandos Weggang leider nie zu Ende geführt. Sie hat sich seinerzeit vehement gegen eine autobiographische Interpretation dieser Geschichte ausgesprochen, doch wir konnten das nicht abschließend ausdiskutieren.

 

Durch diesen Beitrag und das Zitat von Nitzsche bin ich wieder auf zu den oben genannten Überlegungen zu dieser kurzen Geschichte gekommen.

 

 

Ich glaube, dass die Unvollständigkeit des Werkes, ob von Tolkien gewollt oder wegen seines Unvermögens zur Fertigstellung, die Phantasie des Lesers anregt und es ihm ermöglicht, sich sein eigene Arda, sein eigenes Mittelerde zu erschaffen.

 

Douglas Adams hat in seinem Buch ‚Das Restaurant am Ende des Universums‘ geschrieben:

"Es gibt eine Theorie, die besagt, wenn jemals irgendwer genau herausfindet, wozu das Universum da ist und warum es da ist, dann verschwindet es auf der Stelle und wird durch noch etwas Bizarreres und Unbegreiflicheres ersetzt. - Es gibt eine andere Theorie, nach der das schon passiert ist."

 

Wenn wir Tolkiens Werk vollständig verstehen, so verliert es seinen Reiz und man muss sich neuen ‚Aufgaben‘ stellen; „Et  jeht wigger hinger`m Horizont“.

 

Lassen wir uns das Staunen über Tolkiens Werk nicht nehmen.

 

Ein geneigter Leser

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Gast Dunderklumpen

 

In „Blatt von Tüftler / Leaf by Niggle“ beschreibt Tolkien genau diese von Nitzsche beschriebene Situation. Tüftler/Niggle besitzt die handwerklichen Fähigkeiten zu einem großen Werk, ist jedoch nicht in der Lage den Baum als Ganzes fertigzustellen, weil er sich ständig in Details ‚verliert‘, immer neue ‚Visionen‘ hat. Gleichwohl stellt das einzelne Blatt ein in sich geschlossenes Kunstwerk dar. Nur erntet Tüftler eher Hohn und Spott und keine Anerkennung ob seiner Unvollkommenheit. Erst nach seiner Reise wird der Wert seiner Arbeit erkannt und gewürdigt, auch oder gerade weil das ‚Bild‘ auch in dieser Geschichte nicht fertig gestellt wird, denn am Ende lockt wieder der unbekannte Horizont und all das, was sich dahinter verbirgt.

 

„Blatt von Tüftler“ ist für mich das am schwierigsten zu interpretierende Werk Tolkiens. Die 2007 begonnene Diskussion / Interpretation wurde nach Wandos Weggang leider nie zu Ende geführt. Sie hat sich seinerzeit vehement gegen eine autobiographische Interpretation dieser Geschichte ausgesprochen, doch wir konnten das nicht abschließend ausdiskutieren.

 

Durch diesen Beitrag und das Zitat von Nitzsche bin ich wieder auf zu den oben genannten Überlegungen zu dieser kurzen Geschichte gekommen.

 

 

Lieber 'geneigter Leser' Eriol,

 

wie auch schon in dem Punkt 'Wie illustriert man Tolkien' in einem anderen Thread verstehen oder spüren wir auch hier manches bei Tolkien offenbar ganz ähnlich; möglicherweise denken wir in ähnlicher Weise modern und sehen eventuell, ebenfalls möglicherweise ähnlich, das Hochmoderne - das, künstlerisch gesehen, sogar noch in der Zukunft liegen könnte - in Tolkien.

 

Es ist seltsam, dass Du Wando in diesem Zusammenhang erwähnst. Denn ich selber bin Wando und bin dann später auf Bitten meines Freundes Andre - seinerzeit hier Admin und nun selber verschwunden - als Dunderklumpen in dieses Forum wiedergekommen (Andre brauchte, wenn ich mich richtig erinnere, Unterstützung bei einem Projekt des Gemeinsam Tolkien Lesens).

 

Leaf by Niggle will ich irgendwann wieder aufgreifen, vermutlich als Essay, aber ich tanze immer auf zu vielen Hochzeiten, leider.

 

 

 

Doch um auf die Ausgangsfrage zu kommen, ob das letzte Unvermögen zur Vollendung den Reiz des Werks von Tolkien ausmacht, so kann ich dies für mich nur mit einem klaren Ja beantworten.

 

Die Frage ist für mich, ob Tolkien in Nitzsches Sinne unvermögend war, ein in sich abgeschlossenes Gesamtwerk zu schaffen. Auch auf diese Frage komme ich für mich auf ein Ja als Antwort.

 

Vielleicht kann jemand ergründen, ob Tolkien das Zitat von Nitzsche kannte – und dann ggfs. auf seine eigene Situation angewendet hat.

 

Jetzt wage ich einmal eine (vielleicht) gewagte These. Ich persönlich glaube, Tolkien war sich dieses Unvermögens zur Vollendung seines Werkes über Mittelerde/Arda sehr bewusst.

 

 

 

Es ist möglich, dass Tolkien sich dieses 'Unvermögens' bewusst war: Aber er  hat es eben - so reime ich mir das zusammen -, nicht erfasst, dass er moderner war als er selber sein wollte. Er spürte den Zeitgeist, spürte ihn schon ein Jahrhundert voraus, und darum konnte er keine fertigen runden Sachen schreiben, weil er die Falschheit oder gar Verlogenheit solcher runden Sachen als Künstler als Hemmung spürte. Darum, denke ich, brach er immer wieder ab.

 

Ich beschäftigte mich heute schon den ganzen Vormittag mit der Konzeptkunst - einer modernen Kunstrichtung - und überlegte mir da die ganze Zeit, dass diese Kunstrichtung dem ganzen Werk Tolkiens zugrunde liegen könnte.

 

Dann würde eigentlich alles und jedes aufgehen. Denn dann bildet sein Gesamtwerk - inklusive der möglicherweise sehr tendentiell ausgewählten Briefe und der möglicherweise oft von Fans aus dem Zusammenhang gerissenen und dadurch verfälschten Zitate - ein Abbild von echter Realität: immer authentisch, aber niemals richtig. [:]

 

Tolkien lebte vermutlich an der Schwelle eines ganz entscheidenden neuen Denkens: dass der alte Realitäts-Begriff seinen Inhalt schon verloren hat und die neue Realität in anderen Dimensionen zu suchen ist.

 

Diese neue Realität lässt sich vermutlich verbal nicht ausdrücken, nur noch künstlerisch. Sie ist nichts Festes, nicht Festzunagelndes, sondern etwas ständig sich Wandelndes.

 

Die Konzeptkunst kann das vermutlich ausdrücken, weil sie keine Wirklichkeit beschreibt - oder gar nachahmt -, sondern schafft. Wir finden keine Wirklichkeit vor, sondern schaffen sie ständig.

 

Das ist möglicherweise das sensationell Neue bei Tolkien, nach meiner Wahrnehmung: dass er das schon gespürt hat, aber als bewusste Methode nicht angewandt hat.

 

 

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Jetzt wage ich einmal eine (vielleicht) gewagte These. Ich persönlich glaube, Tolkien war sich dieses Unvermögens zur Vollendung seines Werkes über Mittelerde/Arda sehr bewusst.

 

In „Blatt von Tüftler / Leaf by Niggle“ beschreibt Tolkien genau diese von Nitzsche beschriebene Situation.

 

Nur kurz hierzu: Nur weil Tolkien das Unvermögen zur Vollendung literarisch verarbeitet hat, heißt das nicht, dass ihm dies bewusst war. In Geschriebenes fließt auch Unbewusstes mit ein. Letztlich sind hierzu passende »Ausreden« auch bereits in Leaf by Niggle enthalten: Es ist ja nicht hauptsächlich eine künstlerische Unfähigkeit vonseiten Niggles, sondern am Ende vor allem ein zeitliches Problem: Niggle kann zwar die Details besser gestalten als das »große Ganze«, aber mit mehr Zeit und weniger Ablenkung würde er auch dieses fertigstellen. Ähnliches meine ich auch bei Tolkien zu erkennen, müsste da allerdings die Briefe eingehender auf entsprechende Vorwände hin untersuchen. Inwieweit Tolkien diese Vorwände als Vorwände durchschaut hat, kann ich nicht sagen, bezweifle jedoch tendenziell, dass er es tat.

 

@Dunderklumpen: Interessante Ausführungen. Ich lasse mir das mal genauer durch den Kopf gehen.

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