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Feministische Tendenzen in Mittelerde?


Eldacar

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Ich habe vor einigen Wochen in einem etwas älteren Thread bzgl. Frauen in Mittelerde gelesen; da die Diskussionen dort allerdings nur zum Teil dieses Thema abdecken und noch in ganz andere Richtungen gehen, hier ein eigener. Ein Großteil der Diskussionen dort drehte sich irgendwann darum, warum Tolkien die Frauen in seinen Werken so geschrieben hat, wie er es tat, nämlich unter Beachtung einiger Ausnahmen meist nicht existent oder nur in der Rolle der Gattin bzw. Mutter und auch inwiefern das durch das "mittelalterliche" Setting begründet ist, in dem der Herr der Ringe spielt oder durch das Weltbild des Autors. Auch die Tolkien Times aus dem Frühjahr 2003 untersucht die Ursache für den Frauenmangel in Mittelerde und sieht sie in der Vorlage des Autors und betont indes die Bedeutung von Arwen, Galadriel und Eowyn. Dabei dreht der Artikel sich im Grunde aber auch nur um die Anzahl der vertretenen Frauen in Buch und Film und weniger um Geschlechterrollen. Jedenfalls recherchierte ich anschließend ein wenig zu Tolkiens Geschlechterverständnis.

Dieses war, wie es sich schnell herausstellte, alles andere als feministisch und mäanderten zeit seines Lebens zwischen Misogynie und, nennen wir es der Einfachheit halber, konservativen Haltungen, wobei sich, wie David Doughan schreibt, eine positive Entwicklung feststellen lässt. Bei etwas weiterer Recherche zu dem Thema bin ich dann über zwei Texte von Maddox und Łaszkiewicz gestolpert, die darüber schrieben, wie die Rollen, insb. der oben genannten drei, ein gewisses (doch recht emanzipatorisches) Eigenleben entwickelten und wie Tolkien unbeabsichtigterweise stellenweise mit Ihnen feministische Ideale verkörperte. Und diese Ideen haben schon etwas für sich. Besonders Eowyn und Galadriel haben popkulturell den Status von emanzipierten Heldinnen, was erst kürzlich in Hinblick auf letztere durch Rings of Power (das ist keine Ermunterung, die Serie hier zu diskutieren; ich weiß, wir machen das alle gerne) untermauert wurde. 

Allerdings nur weil eine Handvoll weiblicher Charaktere als Entscheidung von irgendwelchen Produzenten und Filmbossen, die schließlich etwas vermarkten wollen, eine klar emanzipierte Rolle einnehmen, heißt das ja nicht, dass diese Charaktere auch in ihrer ursprünglichen literarischen Version diese Rollen ausfüllen können. Für mich ist diese Frage, ob ich nun diesen Charakteren und ihren Taten emanzipatorische oder feministische Tendenzen beimessen sollte, klar interpretatorischer Art, da Tolkien sie nicht (absichtlich) feministisch oder emanzipiert geschrieben hat. Allerdings bin ich mir uneins, ob auch die “starken Frauen" Mittelerdes immer noch eine sexistische Darstellung sind, über deren zugrundeliegende Intentionen ich aufgrund ihres historischen Kontexts geneigt bin, hinwegzusehen bzw. sie paradoxerweise sogar zu idealisieren, oder ob man diesen Rollen tatsächlich den feministischen Stellenwert beimessen kann, der in modernen Adaptionen nur besonders deutlich zum Ausdruck kommt, weshalb ich gerne eure Meinung dazu hören möchte. Wie nehmt ihr die Frauen in Tolkiens Werken und insbesondere die “starken” und Mächtigen wie Luthien oder Galadriel wahr? Welchen Stellenwert messt ihr ihnen sowohl persönlich als auch im Rahmen der Geschichte bei und wieso?

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Tolkien war ja nun wohl kaum jemand der die sozialen Normen seiner Zeit großartig in Frage gestellt hat. Und das heißt zunächst einmal, dass Frauen in dem Bereich in dem seine Geschichten spielen, relativ wenig vorkommen. Abenteuer und Kriege und "Politik" im weitesten Sinne waren Bereiche in denen Frauen halt meist keine Rolle spielten. Das war einfach so, und das hat Tolkien auch nicht in Frage gestellt. Vielleicht ist diese Selbstverständlichkeit mit der Frauen da auf ihren eigenen Lebensbereich "Familie" reduziert werden aus heutiger Sicht und vor allem für jüngere Leute schwer nachvollziehbar. Da habe ich den natürlichen Vorteil so ziemlich gleichaltrig mit dem Buch "Der Herr der Ringe" zu sein. Ich bin also noch in einer Zeit aufgewachsen wo verheiratete Frauen die Erlaubnis ihres Mannes brauchten wenn sie berufstätig sein oder ein Konto eröffnen wollten. In den Lebensbereichen , um die es in Tolkiens Geschichten geht, spielten Frauen halt keine Rolle, es sei denn allenfalls als mächtige Fürstinnen (was ja dann auf Galadriel zutrifft).

Eowyn ist ein interessanter Fall, denn sie verhält sich ja nun eindeutig nicht so wie man es von ihr als Frau erwartet. Sie zieht in den Krieg, und das dann auch noch ziemlich erfolgreich. Nun leben ja gute Geschichten (und "Herr der Ringe" ist eine sehr gute Geschichte) immer auch davon dass eben auch unübliche Dinge passieren, als würde ich es nicht überbewerten wenn da eine Frau dargestellt wird die erfolgreich in den Krieg zieht. Auffällig ist in diese Hinsicht allerdings dass Eowyn ja nun durchaus eine positive Figur ist. Und vor allem fällt es auf, dass sie durchaus auch als Frau attraktiv ist. Zumindest findet Faramir das. Also, irgendwie ist Eowyn eben doch ein positives Gegenbild zu der herrschenden Vorstellung darüber wie Frauen sind und auch zu sein haben. Also doch Feminismus, irgendwie? Eventuell Feminismus unbeabsichtigter Art? Die Frage finde ich jetzt spannend.

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vor 10 Stunden schrieb gathame:

Also doch Feminismus, irgendwie?

Schon witzig zu sehen, wenn andere Menschen erstmal genauso ratlos vor einer Frage stehen wie man selbst. Allerdings klingt es für mich schon danach, dass du eher dazu tendieren würdest, dass Eowyn die sprichwörtliche Ausnahme von der Regel ist und damit ihr popkultureller Status eher eine spätere Stilisierung. Zumindest scheint die gesellschaftliche Rolle ziemlich klar zu sein und die Abweichungen nicht unbedingt verwunderlich.

 

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Stimmt, ich bin da eben auch ein bisschen ratlos. Und ich tendiere tatsächlich dazu Eowyn einfach als Ausnahme von der Regel zu werten. Ihren späteren popkulturellen Status halte ich  wirklich eher für eine spätere Stilisierung.

Das ist übrigens nicht nur Eowyns Problem, das betrifft auch die Darstellung der anderen Frauenfiguren in Peter Jacksons Filmen. Und diese Filme sind es doch weitgehend die das Bild der Figuren geprägt haben, vor allem bei der ja doch ziemlich großen Mehrheit der Fans die eben keine Buchleser sind. Ganz deutlich wird das bei Arwen. Die Buch-Arwen wäre auch zu den Zeiten als Peter Jackson "Herr der Ringe" verfilmt hat dem Durchschnittspublikum nicht mehr zu vermitteln gewesen. Die musste einfach aktiver dargestellt werden, das ging gar nicht anders. Lieblich anzusehen sein und Deckchen sticken reicht da einfach nicht, dass jemand das glaubhaft interessant und attraktiv findet konnte man schon damals nicht mehr erwarten. - Und, ja, ich weiß, sie stickt keine Deckchen, sie stickt ein Banner. Aber viel ändert das leider an der Wirkung auch nicht.

Ich vermute, dass das was wir als feministische Tendenzen in Mittelerde wahrnehmen davon mit geprägt ist wie Frauen in den Verfilmungen dargestellt werden. In den Büchern sehe ich solche Tendenzen insgesamt eher nicht.

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Am 7.2.2024 um 11:26 schrieb gathame:

Also doch Feminismus, irgendwie? Eventuell Feminismus unbeabsichtigter Art?

Wenn ich an das Ende der Éowyn-Geschichte denke, an die Faramirsche Wendung, würde ich eher sagen: nein.

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vor einer Stunde schrieb Blauborke:

Wenn ich an das Ende der Éowyn-Geschichte denke, an die Faramirsche Wendung, würde ich eher sagen: nein.

Weil sie an Faramirs Seite Fürstin von Ithilien wird:kratz:

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Ich meine das, was sich zwischen Éowyn und Faramir in den Häusern der Heilung abspielt. Das ist ja etwas komplexer, aber letzten Endes gibt Éowyn nach den Gesprächen mit Faramir ihre Ambitionen und auch ihren Widerstand gegen die konventionellen Festlegungen ihrer Rolle als Frau auf.

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Da habt ihr allerdings Recht. Es gibt ja eben nicht nur Eowyns Aufbruch in den Krieg, auch wenn man den meistens deutlicher in Erinnerung hat. Es gibt eben auch ihre Rückkehr in ihre "natürliche" Rolle Nun ist das Problem ja nicht einmal, dass sie überhaupt heiratet, sondern das Problem ist dass mit dieser Heirat ganz eindeutig die Rückkehr in das alte Rollenmuster verbunden ist. Ich vermute jetzt einfach mal dass ein anderes Rollenmuster für Tolkien auch gar nicht vorstellbar war; eine Frau die auf Dauer die gleichen Dinge tut und die gleichen Möglichkeiten hat wie ein Mann, das hätte er als unnatürlich (und also als schlecht) empfunden. Für die Zeit in der er schrieb ist das eine vollkommen normale Sicht der Dinge. Aber feministisch ist das natürlich eindeutig nicht. Also doch kein Feminist. Eowyns Aufbruch in den Krieg ist wohl doch eher als das Reagieren auf eine Ausnahmesituation zu verstehen.

Vielleicht lag es nicht nur an zu wenig Zeit dass Peter Jackson in "Herr der Ringe" die Geschichte von Eowyn und Faramir bis zur Unkenntlichkeit gekürzt hat. Vielleicht ging es auch darum diesen schon damals arg verstaubten Schluss der Geschichte eher wegzulassen.

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Was halten wir denn von Haleth? Sie wurde Anführerin durch eigene Leistung, nicht aufgrund ihrer Herkunft. Sie wurde gewählt, die Leute folgten ihr freiwillig und konnten sie auch wieder verlassen. Sie heiratete nie und hatte auch keine Kinder. Haleth begegnete allen, auch den Elbenfürsten, stets auf Augenhöhe. Thingols Bedingung, sie und ihre Leute müssten die Teiglin-Stege gegen die Orks verteidigen, wenn sie im Wald von Brethil leben wollten, kommentierte sie mit einer bissigen Bemerkung. Später in The Peoples of Middle-earth spendierte Tolkien ihr sogar noch eine weibliche Leibgarde.

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Haleth ist bemerkenswert, und zwar aus zwei Gründen. Erstens: sie wird durch eigene Leistung zur Anführerin, nicht durch ihre Herkunft. Das ist ja bei Tolkien auch eher selten, da dominiert doch meistens der Hochadel irgendwelcher Art. Und zweitens: sie heiratet nie und hat keine Kinder. Da liest man aus heutiger Sicht ja leicht drüber weg, aber in der Zeit in der Tolkien geschrieben hat war das in diesem Zusammenhang wichtig. Denn für damalige Begriffe war es zwar durchaus schon in gewissen Grenzen vorstellbar dass eine Frau berufstätig war, sogar eventuell in einem anspruchsvolleren Beruf der zum Beispiel ein Studium erforderte. Allerdings ging man dann ganz selbstverständlich davon aus, dass eine solche Frau nicht heiratete und keine Kinder hatte; Berufstätigkeit, zumal besonders anspruchsvolle, und Familie, das schloss einander aus. Insofern liegt es von Tolkiens ja doch eher traditionellen Ansichten her nahe eine Frau wie Haleth als unverheiratet und kinderlos darzustellen.

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Ich denke auch, dass die Faktoren Leistung und demokratische Wahl für die Konzeption der Figur Haleth eine besondere Bedeutung haben, denn sie sind zwangsläufig mit einer allgemeinen Akzeptanz der Gleichstellung von Mann und Frau in der Gesellschaft der Haladin verknüpft. Sonst wär's nicht schlüssig. Ich bin mir aber nicht sicher, ob dieser emanzipatorische Ansatz von Tolkien mit Absicht so konzipiert wurde. Ich leite meine Kritik allerdings etwas anders her als @gathame, was aber nicht bedeutet, dass ich den Ansatz, Texte mit in ihrer Entstehungszeit vorherrschenden Vorstellungen abzugleichen, für falsch halte, ganz im Gegenteil.

Ich beziehe mich nur direkt auf Tolkiens Beschreibung der Kultur der Haladin in The Peoples of Middle-earth : „They did not willingly adopt new things or customs, and retained many practices that seemed strange to the Eldar and the other Atani […] One of the strange practices spoken of was that many of their warriors were women […] This custom was evidently ancient […].“ steht dort, und in der Fußnote dazu: „They increased in numbers far more slowly than the other Atani […] yet many of their women (who were fewer than the men) remained unwed.“

In dem Hinweis darauf, dass hier eine Gesellschaftsordnung vorliegt, in der Frauen ihre biologischen Funktionen nicht wahrnehmen müssen und dies negative Folgen für das Gedeihen der Gesellschaft habe, schwingt ja implizit die Wertung mit, dass diese Funktionen wichtiger seien als die individuelle Selbstbestimmung. Berücksichtigt man außerdem die Verwendung von negativ konnotierten Begriffen wie „strange practices“ und „evidently ancient“, wird die Haladin-Kultur, vorsichtig formuliert, eher als Kuriosum und als nicht erstrebenswerte Ordnung dargestellt. Was man, da es sich auch um eine Stammesgesellschaft handelt, natürlich so sehen kann, nur nicht aus den genannten Gründen.

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Wie Tolkien die Kultur der Haladin beschreibt ist in der Tat interessant und leider auch ziemlich aufschlussreich. Denn diese Beschreibung ist ja schon sehr wertend und eben auch abwertend. Erst ist da die Rede von "many practices that seemed strange to the Eldar", das stellt noch nicht unbedingt eine Wertung dar; es besagt lediglich dass die Eldar das "strange" fanden. Aber  danach ist dann doch recht schnell von "strange practices" die Rede, also von etwas das nicht nur die Eldar und die Atani irgendwie seltsam fanden sondern offensichtlich eben auch er Erzähler selbst. Da steckt tatsächlich implizit eine Wertung drin: das ist etwas, das von der Norm abweicht, also ist es zumindest sehr kritisch zu betrachten.

In dieser Hinsicht habe ich sowieso Probleme mit Tolkien. Er neigt einfach dazu Dinge als normal und naturgegeben zu betrachten, die genaugenommen nur kulturelle Normen sind. Das ist natürlich auch zeitbedingt, das verstand sich damals von selbst. Trotzdem stört es mich. Und besonders deutlich wird das bei Tolkien halt immer wenn es um Frauen geht. Er beschreibt ja durchaus Frauen die der herrschenden Norm nicht entsprechen, aber er beschreibt sie eben doch als Sonderfälle. Sie bleiben Kuriositäten, letztenendes.

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Die Tatsache, dass hier der Erzähler Sichtweisen der Eldar und der anderen Atani wiedergibt, war tatsächlich der Grund, weswegen ich ein wenig unsicher war, ob meine Einschätzung stimmt. Ich finde, es ist nicht eindeutig zu erkennen, wo genau der Erzähler eine eigene Sicht auf die Haladin wiedergibt oder ob er es überhaupt tut: es gibt ja verschiedene Formen und Abstufungen des indirekten Sprechens. Außerdem handelt es sich hier um einen Auszug aus den Late Writings, aus dem Essay Of Dwarves and Men, in dem es hauptsächlich um die Geschichte der Sprachen und deren Verhältnis zueinander geht. Der Essay ist von 1969, also gut zehn Jahre nach der zweiten Fassung der Quenta Silmarillion entstanden, in welcher die Figur der Haleth das erste Mal auftaucht. Es ist vielleicht noch nicht einmal eine bewusste Ergänzung der ersten Konzeption, da Tolkien hier die Entwicklung und Verbreitung der Sprachen im Blick hat, aber man denkt natürlich sofort an die Geschichte der Haleth in der Quenta, wenn man den Essay liest.

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Ich könnte mir auch vorstellen dass das tatsächlich nicht einmal eine bewusste Ergänzung ist, sondern dass es sich hier durch das andere Thema (Entwicklung der Sprachen) aus Tolkiens Sicht von selbst so ergeben hat. Und gerade deshalb ist es aufschlussreich. In Tolkien-Texten gibt es ja immer irgendwelche fiktiven Erzähler oder Chronisten die diese Welt beschreiben und kommentieren, oft mit dem Hinweis auf angeblich existierende alte Quellen. Das ist ja auch durchaus eine spannende Art zu erzählen, weil es die Texte eben ein wenig so wirken lässt als ob es um historische Überlieferungen ginge. Aber es führt natürlich dazu dass Tolkiens eigene Einstellung sehr weitgehend hinter diesen fiktiven Erzählern verschwindet. Genau deshalb ist es ja so schwierig etwas über seine eigene persönliche Einstellung zu den jeweiligen Themen zu erfahren. Ich halte das für Absicht, nicht weil Tolkien sich gescheut hätte eigene Einstellungen mitzuteilen, sondern weil es die Texte eben "historischer" wirken ließ. Wie er selbst die Dinge sah und beurteile, das lässt sich eigentlich nur in solchen Momenten erkennen wie in dieser Fußnote zu den Haladin. Und die verrät dann halt schon wie Frauen seiner Ansicht nach sein sollten und wie nicht.

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Am 13.2.2024 um 20:32 schrieb Blauborke:

Berücksichtigt man außerdem die Verwendung von negativ konnotierten Begriffen wie „strange practices“ und „evidently ancient“, wird die Haladin-Kultur, vorsichtig formuliert, eher als Kuriosum und als nicht erstrebenswerte Ordnung dargestellt

Nur kurz dazu: auch wenn ich bei "strange" zustimme, bin ich nicht sicher, ob "evidently ancient" nicht einfach heißt "offenbar schon sehr alt/lang". Allerdings hast du ja nicht den ganzen Text zitiert.

Insgesamt wirkt es natürlich schon so, dass die Person, die das beschreibt, sich darüber wundert; ich kann nur nicht ganz verstehen, warum du eine Wertung in "evidently ancient" siehst. Die lese ich da nicht raus :-)

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Dass der Ausdruck "strange" bei  jemandem wie Tolkien eher negativ zu werten ist dürfte eigentlich klar sein. Mit "evidently ancient" ist es genaugenommen wirklich schwieriger. Für sich allein ist der Ausdruck sicherlich nicht wertend, er kann es aber schon in bestimmten Textzusammenhängen sein. Und ich kenne den vollständigen Text jetzt auch nicht, aber so wie Blauborke daraus zitiert hat sieht es für mich doch schon ein bisschen nach Wertung aus. Da ist zuerst von dem als "strange" bezeichneten Umstand die Rede dass es bei den Haladin Kriegerinnen gibt. Und dann wird die Erklärung nachgeschoben, dass es sich dabei um eine Sitte handelt die "evidently ancient" ist. Und dazu gibt es dann noch eine Fußnote die darauf hinweist dass die Frauen in dieser Kultur oft nicht heiraten, was ja in dieser Zeit und in diesem Zusammenhang automatisch bedeutet, dass sie auch ihre biologische Aufgabe bei der Vermehrung nicht erfüllen. Wenn man das alles im Zusammenhang sieht, dann empfinde ich den Text als ganzes schon als abwertend, auch wenn "evidently ancient" an sich eher wertfrei ist.

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vor 6 Stunden schrieb Elda:

Nur kurz dazu: auch wenn ich bei "strange" zustimme, bin ich nicht sicher, ob "evidently ancient" nicht einfach heißt "offenbar schon sehr alt/lang". Allerdings hast du ja nicht den ganzen Text zitiert.

Insgesamt wirkt es natürlich schon so, dass die Person, die das beschreibt, sich darüber wundert; ich kann nur nicht ganz verstehen, warum du eine Wertung in "evidently ancient" siehst. Die lese ich da nicht raus

Ja, das mag an mir liegen. Du hast sicherlich Recht, dass „evidently ancient“ nicht zwangsläufig abwertend verwendet wird. Allerdings wird die Haladin-Passage mit der Feststellung, „They did not willingly adopt new things or customs, and retained many practices that seemed strange to the Eldar and the other Atani“ eingeleitet. Es sind also die alten Bräuche, die den anderen seltsam oder fremd erscheinen. Hier wird zwar nur die Sicht der anderen Ethnien auf die Haladin wiedergegeben, sie wird aber in der Folge vom Erzähler nicht relativiert. Deshalb ist mein Eindruck, dass von Beginn an ein eher negativer Tenor etabliert wird.

Eine ähnliche semantische Konstruktion findet sich dann ja auch bei „One of the strange practices spoken of was that many of their warriors were women […] This custom was evidently ancient“. Im Text folgen hier der Verweis auf die bereits zitierte Fußnote und ein Nebensatz, mit dem die Einordnung als „ancient“ erläutert wird: „for their chieftainess Haleth has been a renowned amazon with a picked bodyguard of women.“
Es sind also in beiden Fällen die alten Bräuche, die fremd oder seltsam sind, hier weil kämpfende Frauen "strange" sind. Das eigentlich wertneutrale „ancient“ scheint mir durch den Gebrauch in diesem Zusammenhang kontaminiert zu sein. Aber ich gebe zu, man kann es auch anders lesen.

Natürlich habe ich versucht, nur Textstellen auszulassen, die für das Verständnis unwichtig sind. Hier die gesamte Passage:

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Einerseits ist "ancient" bei Tolkien nicht gerade negativ besetzt und besitzt als Konnotation, soweit ich das beurteilen kann, einen im Grunde rein zeitlichen Charakter und weniger, den bei uns manchmal anhängigen Sinn einer gewissen Primitivität. Andererseits weiß ich nicht, warum aus a) (Der Existenz einer weiblichen Leibgarde) gerade b) (Das Alter diese Tradition) gefolgert werden sollte (evidently). Für mich heißt diese Logik ja im Umkehrschluss, dass wenn die Tradition nicht so alt wäre, dann würde diese nicht als derart selbstverständlich ausgelebt, dass es eine mehrheitlich weibliche Militäreinheit gäbe.

Das wiederum bedeutet doch allerdings nichts anderes, als dass der eigentliche Status Quo Frauen in derlei Positionen nicht vorsieht und die einzige Möglichkeit, wie sich eine solche Tradition noch bestehen kann, darin begründet liegt, dass sich diese aus einer Vorzeit überlebt hat (retained many customs), die, um es etwas überspitzt zu formulieren, man als archaisch betiteln könnte, oder zumindest als fremdartig (strange). Diese beiden Begriffe greifen in meinen Augen daher direkt ineinander und offenbaren eine gewisse Geringschätzung. Es klingt wie etwas, dass auch von einem europäischen Kolonisten über afrikanische Kulturen hätte geschrieben werden können. Oberflächlich eine rein formale Beschreibung, darunter aber eine Abwertung.

Am 17.2.2024 um 12:09 schrieb Elda:

[...] ich kann nur nicht ganz verstehen, warum du eine Wertung in "evidently ancient" siehst. Die lese ich da nicht raus :-)

Ich sehe von daher auch schon eine deutliche Abwertung in dieser so unscheinbaren Formulierung.

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Du hast da gerade sehr genau beschrieben was sich die ganze Zeit nicht richtig erklärt gekriegt habe: der Text klingt eben für mich auch deutlich abwertend, ohne dass da eindeutig abwertende Begriffe benutzt werden. Der Vergleich damit wie europäische Kolonisten über afrikanische Kulturen geschrieben haben trifft es genau.

Und "ancient" ist eben wirklich ein schwieriges Wort. Und dieses Wort kann sowohl achtungsvoll gemeint sein, im Sinne von "altehrwürdig", als auch aber auch abwertend, im Sinne von "veraltet/primitiv".

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Mal davon abgesehen, ob "ancient" negativ konnotiert ist oder ob nicht, würde es den Grundtenor der Textpassage sicher nicht verändern, sollte dieser eine Begriff neutral verwendet worden sein. Ich stelle mir allerdings die Frage, in welchem Kontext diese Praxis "ancient" sein soll. Ist ja jetzt auch nicht so, dass es in Mittelerde bei allen Völkern in der Frühzeit nur so vor Amazonen wimmelte. Entweder ist diese Praxis also eine sehr alte, weil sie sich bei den Haladin erhalten hat (dann ist die Begründung allerdings redundant) oder Tolkien zieht einen außerhalb der Erzählung liegenden Vergleichsmaßstab heran. Im letzteren Fall würden hier dann nicht mehr die Sichtweisen der anderen Ethnien auf die Haladin wiedergegeben, dann spräche der Autor.

Bearbeitet von Blauborke
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An der Überlegung ist allerdings was dran. In der Frühzeit der Mittelerde-Völker wimmelt es ja nun wirklich nicht gerade von Amazonen. Also macht es keinen Sinn die Existenz von Kriegerinnen bei den Haladin einfach damit zu begründen dass sie noch irgendwelchen alten und anderswo schon überholten Sitten und Bräuchen anhängen. Ich vermute dass hier, eventuell nicht mal bewusst, schon der Autor spricht und dass der Vergleichsmaßstab den er da heranzieht tatsächlich außerhalb der Erzählung liegt. Dass Tolkien Frauen als Kriegerinnen nicht restlos unvorstellbar fand, das sehen wir ja an Figuren wie Haleth oder Eowyn, aber ich kann mir gut vorstellen dass er sie als Ausnahmefälle betrachtet hat, als Kuriositäten vielleicht sogar. Irgendwie "strange" eben.

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  • 2 Wochen später...

Diese Rolle als Kuriosität kann man auch bei Emeldir, der Mutter Berens, finden. Sie wird in der relativ kurzen Passage, in der sie auftaucht, als "manhearted" bzw. im Deutschen als "mannesmutig" bezeichnet, weil sie sich entschied, mit Ehemann und Sohn zu kämpfen anstatt zu fliehen.

"At last so desperate was the case of Barahir that Emeldir the Manhearted his wife (whose mind was rather to fight beside her son and her husband than to flee) gathered together all the women and children that were left, and gave arms to those that would bear them; and she led them into the mountains that lay behind, and so by perilous paths, until they came at last with loss and misery to Brethil." (Silmarillion, Kapitel 18: Of the Ruin of Beleriand and the Fall of Fingolfin)

Ich glaube dieser Kuriositätenstatus, der auch anhand der letzten beiden, filmisch nicht adaptierten Charaktere recht gut hervorsticht, durchbricht für mich keine Geschlechterrollen, sondern festigt sie paradoxerweise eigentlich nur. Die Betonung ihrer Andersartigkeit spiegelt letztlich nur "wie es sein sollte" und wie es auch ist. Und das hier klar im Kontext der Geschichte und nicht in Bezug auf die Überzeugungen des Autors. Diese "starken" Charaktere etablieren zwar Frauen als handelnde Akteure, allerdings machen sie deutlich, dass Frauen als solche dabei einer zweiten Klasse angehören, aus der nur ab und an die "fähigsten" oder "nobelsten" in der Lage auszubrechen sind.

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vor 6 Minuten schrieb Eldacar:

Ich glaube dieser Kuriositätenstatus, der auch anhand der letzten beiden, filmisch nicht adaptierten Charaktere recht gut hervorsticht, durchbricht für mich keine Geschlechterrollen, sondern festigt sie paradoxerweise eigentlich nur. Die Betonung ihrer Andersartigkeit spiegelt letztlich nur "wie es sein sollte" und wie es auch ist. Und das hier klar im Kontext der Geschichte und nicht in Bezug auf die Überzeugungen des Autors. Diese "starken" Charaktere etablieren zwar Frauen als handelnde Akteure, allerdings machen sie deutlich, dass Frauen als solche dabei einer zweiten Klasse angehören, aus der nur ab und an die "fähigsten" oder "nobelsten" in der Lage auszubrechen sind.

Ich stimme zu und mir fällt hier auf, dass das ja große Ähnlichkeit hat mit den Frauen in Helms Klamm, wenn ich mich nicht irre? Ich hab gerade natürlich mehr den Film im Kopf als das Buch, aber ist es da nicht genau so, dass die Frauen sich selbst-organisiert in die Berge führen und dort verschanzen? Auch wenn ich wie du das in der literarischen Form sowohl in der von dir zitierten Stelle als auch in Helms Klamm als eher rollenbild-festigend werte, frage ich mich, ob Tolkien da vielleicht auf irgendwelche realen Vorbilder - aus unserer, echten Welt - zurückgegriffen hat? :kratz:

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Das Mittelalter ist zwar nicht unbedingt mein Fachgebiet, allerdings bin ich mir recht sicher, dass dieses "Frauen und Kinder zuerst" Dogma bzw. die Tendenz sie zu evakuieren, während die Männer Krieg führten, so keinen Bestand hat. Warum sollte man auch im Belagerungszustand Personen wegschicken, die Steine werfen, Öl/Wasser kochen oder Soldaten mit Material während des Kampfes versorgen können (abgesehen von ihrer grundsätzlichen Fähigkeit Waffen zu tragen)? Es gab bestimmt Gegenbeispiele, denn nicht jede Schlacht und jede Belagerung gleicht der anderen. So fällt mir im antiken Kontext bspw. auf Anhieb die Schlacht von Alesia ein, in der die Gallier ihre Frauen, Kinder und Kranken versuchten aus der Stadt zu evakuieren, um Lebensmittel und Wasser zu sparen, um bis zur Ankunft des Verstärkungsheeres die Stadt halten zu können. Da die Römer das "Spiel" nicht mitspielten, ließen die beiden Seiten diese Menschen im Niemandsland zwischen den Armeen verdursten und verhungern. Das hatte also weniger etwas mit irgendeiner Tugendhaftigkeit zu tun, sondern damit die schwächsten Gruppen zu opfern, um sich einen Vorteil zu verschaffen. 

Gerade im Kontext relativ bekannter historischer Beispiele, muss man sagen, dass Tolkien selbst seinen kuriosen Frauen, nicht die Rollen zugestand, die manche historische Vorbilder erreichten. Olga von Kiev führte Regierungsgeschäfte, reformierte das Tributsystem ihres Reiches, konvertierte die Rus zum Christentum und führte mehrfach erfolgreich Armeen an. Im byzantinischen Reich gab es recht regelmäßig Co-Kaiserinnen und De-facto Regentinnen wie Theodora Porphyrogenita oder Irene von Athen und als gebildeter Engländer dürfte Tolkien durchaus mit dem Boudiccan Destruction Horizon vertraut gewesen sein und der Frau, deren Rebellion ihn verursachte. Im Vergleich zu diesen Persönlichkeiten ist der Ausbruch aus Geschlechterrollen von Haleth oder Eowyn schon spürbar dezenter.

Sofern für diese Charaktere auf historische Persönlichkeiten zurückgegriffen wurde, muss Tolkien eigentlich schon eine bewusste Entscheidung getroffen haben, diese nicht in all ihren Facetten umzusetzen.

Bearbeitet von Eldacar
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Also, für jemanden dessen Fachgebiet das Mittelalter nicht unbedingt ist kennst du dich eigentlich ziemlich gut aus. Außerdem hast du Recht. Politisch und durchaus auch kriegerisch aktive Frauen hat es immer und in vielen Kulturen gegeben, nicht gerade als Regelfall aber doch statistisch gesehen sehr viel häufiger als wir sie in Tolkiens Werken finden. Allerdings wurden die zuweilen von der offiziellen Geschichtswissenschaft im 19. und frühen 20. Jahrhundert oft schlicht nicht wahrgenommen. Beispiel: in einem Skythengrab wurde ein Skelett mit Waffen als Grabbeigaben gefunden, also wurde der Fund automatisch als Grab eines (selbstverständlich männlichen) Kriegers eingeordnet. Erst Jahrzehnte später wurden die Knochen noch mal untersucht. Die Tote war eine Frau.

Und, stimmt schon: dieser Kuriositätenstatus der kriegerischen Frauen bei Tolkien ist eher rollenbild-festigend als dass er an diesem Bild etwas ändert.

Was übrigens die Frauen in Helms Klamm betrifft: ich habe jetzt auch nicht so genau in Erinnerung wie das sich im Buch verhält, glaube mich aber zu erinnern dass es da keine großen Unterschiede zum Film gab. Die Rollenverteilung ist da vollkommen klar und wird gar nicht erst diskutiert: die Männer in kampffähigem Alter kämpfen, die Frauen verstecken sich in den Höhlen. Lediglich Eowyn besteht darauf zu kämpfen. Und ihre Reaktion ist eben aus heutiger Sicht (und auch aus der Sicht der Zeit als die Verfilmung entstand) derart vernünftig dass man gar nicht groß darüber nachdenkt: es werden Leute gebraucht die kämpfen, und Eowyn die ja nun eine Kampfausbildung hat meldet sich.

Interessant finde ich allerdings wie Peter Jackson in der Verfilmung mit dieser Rollenverteilung umgeht. Auch da verstecken sich die Frauen selbstverständlich in den Höhlen. Aber es wird immer wieder betont dass es nicht genügend Krieger gibt und dass die Feinde gefährlich in der Überzahl sind. Es werden alte Männer, zum Teil sehr alte Männer, zu den Waffen gerufen, und es werden auch kleine Jungen bewaffnet, alles mit der Begründung dass eben Krieger fehlen. Jackson zeigt das sehr betont und ausführlich. Man kommt gar nicht um den Gedanken herum dass es sinnvoller wäre die Frauen mitkämpfen zu lassen, die wären mit Sicherheit effektiver als diese Kinder. Natürlich haben sie keine Kampfausbildung, aber die haben diese kleinen Jungen ja nun auch nicht. Das ist schon gut gemacht, wie diese Bilder und Eowyns Forderung mitkämpfen zu dürfen da nebeneinander gestellt werden.

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