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Ein ‚nicht ganz‘ neues Buch zu Tolkiens Inspirationsquellen


Eriol

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Mae govannen, mellon nin,

bei einer Recherche im WWW fand ich eher zufällig einen Hinweis auf die Veröffentlichung „Die Schweiz in Tolkiens Mittelerde – Auf den Spuren seiner abenteuerlichen Sommerreise im Jahr 1911“ von Martin S. Monsch. Ein Anruf beim örtlichen Buchhändler meines Vertrauens und zwei Tage später konnte ich das Buch abholen. Es ist am 15.07.2021 im Eigenverlag erschienen (also ‚nicht ganz‘ neu) und wird durch 125, zum größten Teil farbige Bilder, sinnvoll ergänzt.

Es ist bisher unter meinem Radar geflogen. Ich gehe davon aus, das es nicht nur mir so ergeht, daher mein kurzer Beitrag.

Der Autor hat Jura studierter, beschäftigt sich als Datenwissenschaftler mit Automatisierungsprozessen und ist … nun, er ist Schweizer.

Ausgehend von Tolkiens Feststellung in seinem Brief an Christopher (Briefe Nr. 306), dass das Silberhorn als Inspirationsquelle für den Celebdil, die Silberzinne bzw. den Zirak-Zigil, diente, folgt Monsch dem Gedanken, dass die Schweizreise tiefen Eindruck beim jungen Tolkien hinterlassen und weit umfassender als Inspirationsquelle für sein literarisches Werk gedient hat.

Der Autor konnte für dieses Buch auf eine bisher unveröffentlichte Quelle, die Memoiren eines der Reiseteilnehmer zurückgreifen. Der Zugang zu den Aufzeichnungen von Colin Brooke-Smith wurde ihm von Jennifer und Victoria Paxmann und John Garth ermöglicht. Offensichtlich eröffnen diese Memoiren, zusammen mit Tolkiens Briefen, einen neuen, umfassenderen Blick auf diese Reise im Jahr 1911, von der bisher nur wenige Eckdaten (wie Eintragungen in Gästehaus- bzw. Hüttenbücher) bekannt waren.

In insgesamt 16 Kapiteln folgt der Autor Tolkiens Reiseweg vom Berner Oberland ins Wallis und zurück an den Thuner See. Dabei versucht er Inspirationsquellen für den Hobbit und den Herr der Ringe zu finden. Anhand von Ortsbeschreibungen, örtlichen Sagen und Märchen, historischen Ereignissen und Beschreibungen, historischen Bildern und eigenen Eindrücken legt er mögliche Inspirationsquellen dar. Auch die lokalen Ereignisse des heißen Sommers 1911 – insbesondere die oft Tage bzw. Wochen andauernden Waldbrände – bezieht Monsch in seine Überlegungen mit ein.

Viele Interpretationen sind interessant, manche Verknüpfungen überraschend, manche durchaus nachvollziehbar. Mehrfach erläutert Monsch, dass es sich bei vielen Annahmen um reine Spekulation handeln könnte, trotzdem verfolgt er seinen Weg konsequent weiter. Fast kindlich naiv wirkt dieses Bemühen da, wo Tolkien Inspirationsquellen klar benennt und der Autor trotzdem versucht, einen Bezug zur Schweiz herzustellen.

Am Ende unterbreitet der Autor 11 Wander- und 3 Roadtrips auf den Spuren Tolkiens. Er hat sie jeweils mit einer kurzen Beschreibung und einer Karte versehen. Für die 14-tägige Verknüpfung von Wanderungen und Rundfahrt schlägt der Autor die passenden Kapitel aus dem Hobbit bzw. dem Herr der Ringe als 'Reiseliteratur' vor. Den Herr der Ringe an 16 Abenden, nach einem teilweise sehr anspruchsvollen Wanderprogramm ist nach meiner Meinung aber ganz schön ambitioniert.

Zum Buch gehören neben den Wandervorschlägen ein umfangreiches Abbildungs- und Literaturverzeichnis, wobei letzteres allein sechs Seiten umfasst.

Der Band ist aus meiner Sicht lesenswert und kurzweilig. Er eröffnet interessante Perspektiven auf die Schweiz des Jahres 1911, die Schweizer Märchen- und Sagenwelt sowie die Wandlungen, die die Landschaften in gute hundert Jahren unterworfen waren. Das Buch ergänzt die bisherigen Veröffentlichungen zu Tolkiens Inspirationsquellen sinnvoll. Letztlich muss jeder Leser für sich entscheiden, welchen der aufgezeigten Spuren er folgen möchte.

Schließen möchte ich mit der Einschätzung vom John Howe aus dessen Vorwort: „Dieses Buch ist vor allen anderen Dingen eine Einladung, in Tolkiens Wanderschuhe zu schlüpfen, seinen Rucksack zu schultern und ein Jahrhundert zurück in eine Welt zu treten, die von der heutigen Welt so weit entfernt ist wie Mittelerde; ...“.

Vielleicht nehme ich die Einladung irgendwann an.

 

Eriol

Bearbeitet von Eriol
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Hallo Eriol,

vielen Dank für diesen Bericht. 

Über diese Reise in die Schweiz steht auch einiges bereits in The J. R. R. Tolkien Companion and Guide (von Hammond/Scull) in der ersten Ausgabe von 2006. 

Ich selber habe nur diese Erstauflage; es existiert aber auch eine weitere Auflage von 2017:

https://www.amazon.de/J-R-Tolkien-Companion-Guide/dp/0008214549/ref=sr_1_1?__mk_de_DE=ÅMÅŽÕÑ&crid=15J4SFM35EH6A&keywords=hammond+scull&qid=1658242728&sprefix=hammond+scull%2Caps%2C177&sr=8-1

 

Tolkien war im Spätsommer 1911  19 Jahre. Er hat, steht bei Hammond/Scull, entweder schon auf der Reise - oder kurz danach - eine Zeichnung von den Bergen gemacht und darunter geschrieben "The Misty Mountains". Diese Zeichnung ist in Artist and Illustrator veröffentlicht worden. Eine Ausgabe erschien im Jahr 2000 - aber ob das die Erstauflage ist, kriege ich  bei dieser Hitze nicht raus. 

Auch in den  Briefen soll Tolkien so einiges über diese Reise geschrieben haben. 

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vor 10 Stunden schrieb Eriol:

Viele Interpretationen sind interessant, manche Verknüpfungen überraschend, manche durchaus nachvollziehbar. Mehrfach erläutert Monsch, dass es sich bei vielen Annahmen um reine Spekulation handeln könnte, trotzdem verfolgt er seinen Weg konsequent weiter. Fast kindlich naiv wirkt dieses Bemühen da, wo Tolkien Inspirationsquellen klar benennt und der Autor trotzdem versucht, einen Bezug zur Schweiz herzustellen.

Das klingt tatsächlich richtig spannend :trippel: danke fürs Ausfindigmachen und die Zusammenfassung! Ob Tolkien letztlich wirklich von dieser Reise stark geprägt wurde, kann uns ja zunächst auch mal egal sein; denn die Parallelen, die im Buch aufgezeigt werden, können ja ungeachtet der Wahrheit plausibel sein und uns zum Nachdenken anregen. Und das allein ist ja schon ne schöne und interessante Leistung :-D

LG

Elda

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Ich denke auch, dass es in erster Linie gar keine so große Rolle spielt, wie viel von der Schweiz in den HdR geflossen ist. Es klingt, als würde das Buch all jenen, die nicht nach Neuseeland reisen können/möchten/wasauchimmer, die Möglichkeit geben, mit ein wenig Fantasie in der realen Welt in Mittelerde einzutauchen.

Das nächste Forentreffen wird dann wohl eine Wanderung in der Schweiz :-O

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vor 3 Minuten schrieb Perianwen:

all jenen, die nicht nach Neuseeland reisen können/möchten/wasauchimmer, die Möglichkeit geben, mit ein wenig Fantasie in der realen Welt in Mittelerde einzutauchen.

also preislich macht es zumindest nicht wirklich einen Unterschied ob du in die Schweiz oder nach Neuseeland fährst. Beim einen ist halt die Anreise bissi teurer, beim anderen alles andere. ;-)

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vor 14 Stunden schrieb Perianwen:

Ich denke auch, dass es in erster Linie gar keine so große Rolle spielt, wie viel von der Schweiz in den HdR geflossen ist.

 

Das sehe ich ähnlich. 

Ich kann mich erinnern, dass ich früher einmal eine Erzählung (eine Art Märchen) schreiben wollte - ist nie was draus geworden -, in der ein blühender Garten vorkommen sollte. 

Diesen Garten hätte ich in der Erzählung ein wenig beschreiben müssen. Ich wühlte in meiner Erinnerung, ob ich einen solchen Garten mal kennengelernt habe, um realistisch sein zu können. 

Und dann fiel mir der Garten meiner Kindheit ein; den hatten wir, bis ich 12 Jahre war.

Diesen Garten hatte ich plötzlich ganz präsent, mit Brunnen und einem Komposthaufen nebenan. Und dies alles beschrieb ich dann und setzte meine Märchenfiguren da hinein. 

Ich beschrieb also nicht unseren Garten, sondern einen Phantasiegarten.

 

Was Tolkien betrifft: dieser ist vielleicht sogar noch einen Schritt weiter gegangen.

Ich schrieb ja oben schon, dass er 19-jährig bereits eine Zeichnung der Alpen machte und darunter geschrieben hat: "The Misty Mountains".

Auf Deutsch also: Die Nebelberge. Die gab es nur in den zukünftigen Phantasiegeschichten Tolkiens. 

Ich halte es also für möglich, dass Tolkien - falls er damals schon voller Entwürfe von Märchengeschichten war - alles, was er in der Natur sah, automaisch als Teil seiner Märchenwelt umdeutete. 

Nicht, dass er diese reale Welt als Märchenwelt verstand  - ich glaube, dass Tolkien Realität und Märchen immer klar unterscheiden konnte: aber dass er diese Welt quasi doppelt sah. 

So, wie er, als er seine spätere Frau Edith einmal im Wald tanzen sah, sofort die tanzende "Luthien"  sah.

 

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