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Anderswelten


Murazor

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Ich habe wieder eine Geschicht geschrieben- genauer gesagt einen allerersten Teil einer Geschichte.

Ich habe mich in letzter Zeit um eine lange Fanfiction bemüht, aber daraus ist nichts geworden, darum will ich jetzt einen Teil meiner Fanfiction- Ideen in die Welt dieser Geschichte einbauen.

Diese Welt ist der Tolkiens sehr ähnlich und kluge Leser finden vielleicht deutliche Parallelen.

Aber um ehrlich zu sein: Ich habe schon so viele Geschichten unvollendet gelassen, dass ich nur hoffen kann, dass ich diese bis zum Ende führe. Sie ist noch im Werden begriffen.

Für Feed- backs wäre ich dankbar.

Hier ist das, was schon geschrieben wurde:

Prolog

In der Albenwelt vor der Hafenstadt Taelthamar, dreißig Jahre vor Beginn der Geschichte

Ein alter Mann stand im Regen. Er trug einen grauen Wollmantel und war zwischen den Nebelschleiern und den Regentropfen kaum zu erkennen. Er stand auf einer Wiese von grünem Gras, auf dem sich in Mulden und Erdlöchern große graue Pfützen gebildet hatten, in die sich Fäden roten Blutes mischten. Im Regen zwischen den herabhängenden grünen Grashalmen lagen Tote, Erschlagene, Erstochene in Verrenkungen, die meisten von ihnen lagen noch nicht lange hier. Dazwischen lagen Schwerter, Lanzen, Helme, Schilde der Toten, deren Körper oft von Pfeilen gespickt waren, die grauen Augen blickten leblos zum Himmel, auf den Boden, zu den Grashalmen. Die Toten waren Alben, das Volk dieser Welt, die in einen Krieg versunken war, der nun einem Ende entgegen sah. Ihrer aller Haut war blass und sie waren bartlos. Die Toten um den alten Mann trugen rote Waffenröcke, oben und unten spitz zulaufende Schilde und Helme mit Stahkämmen und Nasenbügeln. Die Rüstungen waren aus dunklem Stahl gefertigt worden, bei einigen glitzerte das Gold oder Silber von Abzeichen. Ein Banner lag in einer Pfütze, auf der scharlachroten Fahne, die im grauen Wasser trieb, prangte ein sich schlängelnder, Feuer speiender schwarzer Drache. Diese Krieger waren mit Schwertern und Speeren voran gestürmt und von ihren Gegnern mit einem Pfeilhagel zu Fall gebracht worden. Von ihren Gegnern lagen hier auch einige, die Farbe ihrer Waffenröcke war blau und ihre Rüstungen schimmerten matt, dazu kam das Rot ihres Blutes. Auch sie waren Alben, auf einem zerhauenen blauen Schild prangte das Zeichen eines silbernen Pferdes. Sie waren von ihren Feinden überrannt worden. Als sich der alte Mann umsah, konnte er die Stämme umgeworfener, verkohlter Bäume und noch mehr Tote sehen. Zwischen den Dunstschleiern steckte noch manch ein rotes oder blaues Banner im Boden, das von Kriegern aufgestellt worden war, um die Herrschaft über diesen Ort zu behaupten. Als sie ihn dann verloren hatten, vergaß man die Banner. In einiger Entfernung waren im Nebel die Umrisse eines grau geschuppten Drachen im Gras von Steinmauern zu sehen, der in eine Reihe von Lanzen gestürmt und dabei gestorben war. In verrenkter Stellung lag er dort, ebenso wie tote Pferde. In der Ferne waren die Lichter von flackernden Feuern zu sehen, Wurfgeschosse, die im Feld aufgeschlagen waren und noch immer brannten. Bis auf den alten Mann lebte hier niemand mehr, die Verwundeten, die nicht von ihren Feinden getötet worden waren, waren in der Zwischenzeit verblutet. Dann verdichteten sich Regen und Nebel wieder um den alten Mann, der auf einen langen knöchrigen Stab gestützt dort zwischen den Toten stand. In seine scharfen Gesichtszüge um die grauen Augen hatte die Traurigkeit weiche Furchen hinterlassen und der grauweiße Bart, der ihm auf die Brust reichte, sowie das ebenso lange Haupthaar, wirkten schüttern.

Der Name dieses Mannes war Fennian.

Er rührte sich nicht, als Marschschritte durch das unaufhörliche Plätschern des Regens zu hören waren, hob nur leicht den Kopf. Dann kamen zwei kurze Hornstöße, rau und metallisch, und die Marschschritte verstummten und Ruhe kehrte wieder ein. Dann, langsam, bildete sich aus dem Dunst vor ihm ein dunkler Schatten, der sich verdichtete und ihm näher zu kommen schien. Das Auftreten von Hufen auf nassen Grasboden, das Schnauben eines Schlachtrosses und das Klirren eines Panzers waren zu hören. Dann löste sich ein einzelner Reiter aus dem wabbernden Dunst und ritt in langsam werdendem Galopp auf Fennian zu. Auf die Leichen nahm der Reiter keine Rücksicht und lenkte sein Ross geradewegs auf Fennian zu, das Tier selbst kannte die Scheu seiner Art vor toten Körpern nicht mehr und trat mit seinen schweren Hufen auf die Toten, die noch nicht in Leichenstarre gefallen waren. Ross und Reiter waren schwer gepanzert und die klingenden Panzerstücke und die Gestaltung des dunklen Metalls verlieh den Trägern ein an Ungeheuer erinnerndes Aussehen. Dabei trug der Reiter weder Schild noch Lanze, sondern nur ein Lang- und ein Kurzschwert an seinem Gürtel. Während seine Rüstungsstücke aus Metall waren, die schwarz wie Pech schimmerten, waren seine Kleidungsstücke rot, so auch sein Mantel. Sein Kopf war nicht zu sehen, er war verborgen unter einem Helm mit geschlossenem Visier und Nackenschutz, der dem Reiter ein metallenes Haupt verlieh, das in seiner Gestaltung an einen Drachen erinnerte und einen scharlachroten Helmbusch trug, dessen hinteres Ende auf seinen Rücken fiel. Er lenkte sein Ross mit seinen Schenkeln und der linken Hand, während die rechte lässig herab hing. An ihr funkelte ein goldener Ring.

Der Name dieses Reiters war Taranos.

Als er Fennian näher kam, zügelte er sein Pferd, das bedrohlich schnaubend in einen leichten Trab, dann in den Schritt fiel und mit scharrenden Hufen stehen blieb. Fennian blieb ruhig, deutete nur eine Verneigung an und stand schnell wieder gerade. Dem Reiter sah er in die durch das Visier scheinenden schwarzen Augen.

„Du hast um dieses Treffen gebeten, Taranos.“, sagte Fennian mit ruhiger Stimme.

Das Pferd war unruhig und tänzelte hin und her, wobei es auf die Toten stieg. Aus dem Helm drang ein Laut, der an ein raues Lachen erinnerte, dann hob Taranos seine rechte Hand und legte sie an den Helm. Mit einer langsamen Bewegung nahm er ihn ab, ein Kopf mit struppigem schwarzem Haar kam zum Vorschein. Taranos atmete zischend durch eine Reihe weißer Zähne ein, zwischen denen graue Schatten waren. Seine Gesichtszüge waren außergewöhlich scharf geschnitten und erinnerten an ein Raubtier. Er war bartlos, wie alle Alben. Die Haut war gealtert und rau für einen Alben, der Eindruck von Magerkeit wurde durch die hohlen Wangen und die herausstechenden Wangenknochen erweckt. Am meisten auffallend waren jedoch seine dunklen Augen, die gerötet waren und deren Tränensäcke wie entzündet aussahen. Die Augen blickten Fennian starrend, scharf und ein wenig spöttisch an. Der Eindruck, den sie weckten, war einer von Entbehrungen, Müdigkeit und einem Kampf gegen sich selbst bis hin zu Wahnsinn, gleichzeitig aber auch von unbedingter Härte gegen sich und andere, sowie von Hass und Ehrgeiz.

„Ich hatte schon befürchtet, dass du nicht kommst.“, sagte er mit gedehnter Stimme und zügelte sein unruhiges Pferd nicht. „Du bist mutig.“

„Mich wollten schon viele umbringen.“, entgegnete Fennian.

Taranos hob den Kopf und aus seinem Mund kam ein gedehntes, kurzes Lachen. Seine Augen funkelten Fennian an, der Ring an seiner rechten Hand blinkte. „Und du bist nicht so dumm zu glauben, dass du mich umbringen kannst. Dass es ein Gott nicht kann, wurde schon bewiesen. Und das mich ein Gott nicht einmal aufhalten kann, wurde heute auch bewiesen- wieder einmal.“

Fennian nickte nur, abwartend.

Taranos überblickte kurz das von Gefallenen übersäte Feld. „Ihr habt Zeit bis Mitternacht, um euch zurückzuziehen und die Stadt, den Hafen und die Festung zu verlassen.“, sagte er dann. „Steigt auf die Schiffe mit allem, was sie tragen können, und verlasst das Festland.“

„Und?“, hakte Fennian misstrauisch nach.

Taranos sah ihn starr an und seine Augen funkelten. „Sonst nichts.“, zischte er. „Ich kann es mir leisten, noch einmal zehntausend Männer zu verlieren. Kannst du das?“

Fennian schüttelte den Kopf. Das konnte er nicht. Es war wohl das beste Abkommen, das er noch mit Taranos schließen konnte. Er atmete tief ein. „Ich willige ein.“

Taranos nickte kurz und knapp, dann setzte er sich mit einer geschwungenen Bewegung seinen Helm wieder auf und gab seinem Pferd Schenkeldruck. Das Ungetüm galoppierte sofort loß, wieherte laut durch den Regen, setzte seine Hufen auf Leichen und Gras. Von Taranos war dann noch ein schwarzer Drache zu sehen, der sich durch das Scharlachrot seines Mantels schlängelte und dann im Dunst verschwand.

Fennian stand noch eine Weile da und überlegte, ob er das Richtige gemacht hatte. Wenn sich Taranos an die gerade getroffene Abmachung hielt, hatte er das Richtige gemacht. Der Regen, gekommen aus der in Wolken geballten Göttermacht, tröpfelte noch immer auf das Schlachtfeld vor Taelthamar. Langsam wurde die Sicht besser und Fennian sah in der Entfernung die Wehrmauern der Stadt, auf deren Zinnen die Banner und Flaggen mit dem silbernen Pferd, das Zeichen des Königreiches, schlaff hinab hingen. Die Sicht war gut genug, um die Einschlagspuren von Wurfgeschossen und eine Bresche in der Wehrmauer zu erkennen. Auf den Feldern vor der Mauer lagen abertausende Krieger aus Taranos‘ Königreich, Cruthan, von den Verteidigern der Stadt mit Steinen, Pfeilen oder Speeren getötet oder bei Ausfällen der Verteidiger gefallen. Auf den Wehrmauern waren die blauen und mattgrauen Gestalten der Verteidiger hinter rußgeschwärzten Zinnen zu sehen. Sie standen dort vor der Bresche, die Taranos‘ Sturmgeschütze geschlagen hatten, vor Hügeln aus Gefallenen und versuchten sie so gut wie möglich mit Holzbalken und einer kleinen Mauer zu schließen. Taranos lag seit fünf Tagen vor der Stadt, seine Krieger waren immer wieder gegen die Mauern gestürmt, er hatte Drachen und andere Ungeheuer eingesetzt, um den Willen der Verteidiger zu brechen, deren König zu Beginn des Krieges um die Vorherrschaft in der Welt der Alben gefallen war und die nun von drei Prinzen geführt wurden. In der Nacht war es ihnen gelungen, diese Bresche zu schlagen. Über Mitternacht hinaus hatte Taranos seine Krieger stürmen lassen und war abgewehrt worden. Aber er konnte noch einmal angreifen lassen und dann würde es kein Halten mehr geben, diese Bresche konnte nicht mehr geschlossen werden. Wenn das Volk von Taelthamar nicht vernichtet werden wollte, musste es die Stadt verlassen und über das Meer fliehen. Fennian hatte das Richtige getan.

Er stützte seinen Kopf eine Weile auf seine Hände, dann erhob er sich und atmete diese Nase, von den Gerüchen des Todes geschwängerte Luft ein. Er erhob sich und stieg als Adler in die Lüfte auf, um mit raschen Flügelschlägen in die Stadt zu fliegen.

Taranos sah den Adler, als er zurück schaute. Das Wetter klarte auf. Ihn erwarteten die stählernen Reihen seiner Leibwächter, die besten Krieger seiner Heere, die mit erhobenen Lanzen und scharlachroten Bannern vor ihm Aufstellung genommen hatten, sein Feldherr Catno, der Oberst der Leibgarde Morthan sowie sein Berater Aelanas, die ihn zu Pferde erwarteten. Aber es war noch jemand da, nämlich eine gedungene, in einen schwarzen Kapuzenmantel gehüllte Gestalt auf einem grauen, struppigen Pferd. Aus der Kapuze schauten nur ein spitzes Kinn und ein feurig roter Ziegenbart heraus.

„Er hat eingewilligt.“, sagte Taranos knapp. Er sah zu Lohor hinüber, der Gestalt auf dem grauen Pferd, den er hier nicht erwartet hatte. Er hatte ihn nicht über seine Pläne unterrichtet und es wäre besser gewesen, wenn dieses rot brennende Irrlicht im Lager geblieben wäre. „Sie werden die Stadt bis Mitternacht verlassen.“, schob er nach.

Lohor hob seinen Kopf. Zum Vorschein kamen blasse Gesichtszüge und Augenhöhlen, deren inhalt zwei feurige Punkte zu sein schienen. „Du hättest sie vernichten können, Taranos.“, sagte er mit dünner, hochmütig klingender Stimme.

„Ich brauche meine Krieger, Lohor!“, zischte Taranos. Er mochte seinen Verbündeten nicht, hasste ihn bisweilen sogar, dieses widerliche Stück Dreck, das an seinen Stiefeln hing und sich von seiner eigenen Macht ernährte, aber er brauchte ihn, notgedrungen, bis auf weiteres.

„Die Albenwelt Taen Ilthanas gehört nun Euch, Herr.“, sagte Catno schmeichlerisch. „Ihr habt eine ganze Welt unterworfen, das hat man bisher nur von Göttern erwarten können.“

Taranos warf einen misstrauischen Blick auf Lohor, der auf seinem Pferdchen in sich selbst versunken zu sein schien, vielleicht aber auch in sich hinein lachte. Aber es stimmte, er hatte die Welt der Alben unter seine Herrschaft gebracht. Und wenn seine Feinde noch hier blieben, würden sie unbedeutende Häufchen auf fernen Inseln im Weltmeer sein und ihn nicht wirklich stören können. Darauf hatte er sehr lange hingearbeitet, aber es war nicht das endgültige Ziel.

„Sie werden Euch einen ewigen Winter schicken!“, sagte Lohor glucksend.

Das stimmte, dachte Taranos, sie würden alles tun, um ihn aufzuhalten, bevor er ihnen ihre Macht nahm. Jetzt, da Taen Ilthanas sein Reich war, würden sie es heimsuchen und versuchen, seinen Aufstieg hinauszuzögern und zu verhindern.

„Es ist deine Aufgabe, sie dabei zu behindern!“, entgegnete Taranos.

„Sicher.“, antwortete Lohor mit gequältem Unterton.

Taranos unterdrückte die Wut, die ihm bei solchen Antworten Lohors kam. Er hatte mit ihm einen Gott auf seiner Seite und einen Gott würde er noch brauchen, wenn er anfing seine Eroberungspläne weiter zu verfolgen, die über Taen Ilthanar hinaus gingen. Jahrzehntelang hatte er Krieg geführt, um die Albenwelt unter seine Herrschaft zu bekommen, hatte die anderen Königreiche eines nach dem anderen erobert und nun war auch Taelthamar gefallen, diese widerspenstige Hafenstadt am Weltmeer. Von Anfang an war es ein Krieg gegen mächtige Götter gewesen, die er herausgefordert hatte, die ihm immer Feinde gewesen waren, sogar diejenigen, die er für seine Zwecke benutzen konnte. Am Anfang war er ein Ärgernis für sie gewesen, ein lästiger König unter vielen in Taen Ilthanas, der sich gegen ihre Macht auflehnte und die von ihnen gezogenen Grenzen überschritt. Aber nun wurde er zu einer echten Bedrohung für sie. Seine Eroberungspläne erstreckten sich auch auf ganz andere Welten und sie würde er mit Hilfe der Götter erobern, die er auf seine Seite gezogen hatte, um die Ordnung der Welten umzustoßen. Er betrachtete kurz seinen Ring an seiner rechten Hand, dessen Gold rötlich funkelte.

Die Sicht klarte auf und gab die von Leichen übersäten Felder und die beschädigten Wehrmauern von Taelthamar zu erkennen. Bewegung kam in die Gassen der Stadt zwischen den Türmen und Palästen, wo noch kleine Feuer rauchten. Taranos sah Fennian, der zwischen den Häusern umher flog, um die Flucht zu überwachen, und er sah, wie sein mächtiger Verbündeter, der Meeresgott, das Meer beruhigte und den Dunst von der Wasseroberfläche trieb. Im Hafen strömten Gestalten auf eines der großen Schiffe mit weißen Segeln, das sich zur Abfahrt bereit machte. Hinter sich, auf den Hügeln um Taelthamar, sah er die Lager und Verschanzungen seiner Truppen, sah die stählernen Phalangen in Schwarz und Rot, die bereit waren siegreich in eine geschlagene Stadt einzumarschieren. Es würde nicht die letzte bleiben.

Erstes Kapitel:

Schneetanz

Es war dunkler Winter und es schneite an der sturmumtosten Nordküste der Menschenlande, als der Fremde nach Himscaelmatar kam.

Himscaelmatar war der Sitz des Fürsten Brica, der aus einem alten und ruhmreichen Hause kam und nun schon im zweiundsiebzigsten Lebensjahr war. Sein Sitz Himscaelmatar war eine in Sichtweite des Meeres gelegene Burg, um die sich Wohnhäuser und Höfe reihten, die von Palisaden umschlossen waren. Jenseits der Palisaden lagen die vom alten und neuen Schnee bedeckten Weiden und Felder, die sich durch eine weite felsige Hügellandschaft erstreckten bis zu den dunklen Nadelwäldern und zur Küste. Auf den Wegen waren einige schwarze Gestalten zu sehen, die auf dem Weg nach Himscaelmatar waren.

Die Burg des Fürsten Brica war aus festen Steinmauern, an denen der Wind heulte, und aus Palisaden, hinter denen die Häuser der Wachen, der Diener, der Frauen, die Ställe, die Vorratsgebäude und die Halle befanden, wobei die große Halle, ein schwerer, rechteckiger und dunkler Block, die anderen Häuser weit beherrschte. Den Eingang in die Halle des Fürsten bildete ein schweres, zweiflügliges Tor, über dem alte Schilde und Speere die Wand, die dort oben aus Holz bestand, schmückten. Die Menschen dieser Gegend verstanden sich nicht gut auf die Kunst, mit Steinen zu bauen, aber die große Halle musste gut gestützt sein, also hatten die Baumeister je die untere Hälfte der Wände aus Stein gemacht, darüber war Holz unter dem riesigen, mit Stroh gedeckten Dach, aus dessen Öffnungen warmer Rauch in das Schneegestöber aufstieg.

Die Burg hatte keine Wehrtürme, die zwei Krieger, die zu dieser dunklen Tageszeit in wärmende Mäntel aus Wolfsfell gekleidet das hölzerne Tor bewachten, standen hinter der brusthohen Palisade an einem knackenden Lagerfeuer und wärmten die Hände, während sie ihre Speere und Schilde an die Palisade angelehnt hatten. Die drei Reiter, die sich auf schnaubenden, zotteligen Pferden und begleitet von drei Hunden dem offenen Tor näherten, tauschten mit den Wachen Grüße aus, dann ritten sie in den Burghof, auf dem ein Diener in Lumpen Schnee vom Eingang der Halle weg schippte. Die drei Reiter, die ebenfalls über ihren Kniehosen und Wollhemden dicke Fellmäntel trugen, hatten lange Bögen und Pfeilköcher mit sich, an ihren Speerspitzen glitzerte rotes Blut. Der dritte Reiter führte zwei reiterlose Pferde an Leinen hinter sich her, auf deren Rücken zwei Hirschkühe lagen, die mit herabhängenden Gliedern und regungslosen, schwarzen Augen, Blut tropfend das Fell der Packpferde und den frischen Schnee hinter ihnen färbten.

„Gute Jagd, Herr Thorol.", sagte der fast zahnlose, Schnee schippende Diener.

Der Thorol genannte Mann, dunkelblond und mit breiten Schultern ausgestattet, nickte. Er drehte sich zu seinen Jagdgefährten um. „Bringt sie in die Küche.", befahl er.

„Ja, Herr.", sagte einer von den beiden und entknotete das Seil, das einen der Hirsche an den Rücken des schnaubenden Packpferdes band. Dann gab er dem toten Körper mit dem dunkelbraunen, von roten Spuren benetzten Fell, einen Stoß, und ließ die Hirschkuh in verrenkter Stellung in den Schnee fallen.

Thorol drehte sich um und ging auf die Halle zu. Mit einem Stoß öffnete sich der Eingang und er trat ein. Drinnen war es noch dunkler als draußen, trotzdem waren die Deckenbalken und die von den Wänden hängenden bunten Banner, die Geweihe von Hirschen und die Felle von Wildschweinen, Wölfen und Bären schwach zu erkennen. Im hinteren Teil, beim großen hölzernen Sitz des Fürsten, brannte ein mit Holzscheiten gefülltes Steinbecken vor den Steinstufen zum Fürstenthron. Als Thorol näher kam, sah er dort seinen Großvater Brica, der sich mit Thorols jüngerem Bruder Thear unterhielt, der sich auf einen Schemel gesetzt hatte und seinem Großvater ehrfürchtig lauschte. Brica trug einen Fellmantel, aber sonst hatte er keinen Bedarf sich Fürstenschmuck anzulegen. Wenn wichtiger Besuch kam, was selten genug war, würde er es vorhin erfahren. Seine Ähnlichkeit mit seinen Enkeln Thorol und Thear, von denen der jüngere etwas feiner und schwacher, aber sonst sehr ähnlich wirkte, wurde von seinen tiefen Falten und den weißen Haaren verdeckt, aber diejenigen in Himscaelmatar, die schon seit mehr als zehn Jahren dort wohnten und den Fürsten in jüngeren Jahren erlebt hatten, sagten, dass die Enkel ihrem Großvater ähnlich sahen.

„… Aber im Grunde weiß niemand bis hin zu den großen Felsen, was dahinter steckt. Vielleicht wissen es die Götter.", sagte Brica leise, als er seine grauen, wässrig gewordenen Augen auf Thorol richtete.

„Du bist von der Jagd zurück, Thorol?", sagte er.

„Wir haben zwei Hirsche erlegt.", sagte Thorol stolz. „Wir haben sie in den Fluss getrieben und dann erlegt."

Brica nickte. „Dann wird es heute einen Braten geben. Hast du sie erlegt, Thorol?", fragte er. Er selbst hinkte von einer Verletzung am linken Oberschenkel, die er sich bei seinem letzten Kampf vor Jahrzehnten zugezogen hatte. Seitdem ritt und lief er nicht mehr, konnte weder kämpfen noch jagen, auch wenn er früher in beidem ausgezeichnet gewesen sein sollte.

„Orlof und Haena haben mit den Vortritt gelassen.", sagte Thorol lächelnd.

„Lass ihre Waffen auch einmal Blut schmecken. Sie sollen auch jagen, um das Kämpfen nicht zu verlernen."

Thorol runzelte seine Augenbrauen. „Die Sköllinger sind doch besiegt, Großvater."

Brica nickte wieder. „Ja, sie wurden letztes Jahr besiegt und du hattest daran einen großen Anteil. Aber vergiss nicht, dass wir mit dem Hunger und der Kälte mächtige Verbündete hatten."

„Aber unsere Waffen haben sie zu Fall gebracht!", wandte Thorol ein. Er wollte nicht, dass sein Großvater seine Leistung letztes Jahr unterschätzte, als er an der Spitze der Männer von Himscaelmatar die verfeindeten Sköllinger bei Schnee und Kälte auf den Feldern vor ihrer Festung niedergeritten hatte.

„Erinnere mich nicht daran.", unterbrach ihn Brica und Thorol verstummte. „Es ist kein guter Kampf, wenn dein Gegner ausgehungert ist und friert- mitsamt seinen Frauen und Kindern- und nur gegen dich kämpft, um an dein Korn und dein Fleisch zu kommen. Es ist schon schlimm genug, dass du so deinen ersten Kampf hattest.", sagte er.

Thorol schwieg betreten. Die Sköllinger, deren Siedlungen früher in den Hügeln am anderen Ufer der Frisgidnun gelegen hatten, waren vom schweren Winter im letzten Jahr hart getroffen wurden und hatten vor dem Hungertod gestanden, nachdem das schlechte Wetter im Herbst ihre Ernte verdorben hatte. Bricas Leuten war es besser gegangen, bei Himscaelmatar war weniger Regen gefallen und die Fische vor der Küste waren anders als Getreide und Kühe nicht weniger geworden. Brica konnte für sein Gefolge sorgen, aber nicht den Sköllingern helfen, die dann vom Hunger geplagt versuchten die Vorräte ihrer Nachbarn zu rauben. Thorol hatte mit seinen damals sechsundzwanzig Jahren Bricas Krieger angeführt und die Sköllinger in die Flucht geschlagen. Dabei wurden sie fast alle getötet.

Thear regte sich. „Aber er hat sich tapfer geschlagen.", wandte er ein. Thear selbst war in der Burg geblieben, weil Brica nicht die Gefahr eingehen wollte, dass sein ganzer Stamm an einem Tag ausgelöscht wurde, und weil Thear fünf Jahre jünger als Thorol war.

„Ich mag die Zeiten nicht, in denen die Feinde so handeln, wie man es selbst in ihrer Lage tun müsste.", sagte Brica dann langsam. „Ich mag die immer härter werdenden Winter, die schlechten Ernten und die Unruhe im Volk nicht."

Die Brüder schwiegen. Sie kannten nicht mehr die Zeit, von der die noch lebenden Alten sagten, dass damals noch keine Wölfe um die Palisaden schlichen, und in denen noch die Siedlungen am Fluss standen. Brica hatte noch die Zeit erlebt, nach der es mit jedem Jahr schlimmer zu werden schien, nach der in vielen Dörfern die Bauern keine Ernte mehr einfuhren, ihr Vieh schlachteten und danach hungerten, immer dünner wurden und starben, nachdem sie oft vergeblich versucht hatten Hilfe von einem Fürsten zu bekommen, Vorräte zu stehlen, oder nicht rechtzeitig genug die Reise nach Süden angetreten hatten, wo es angeblich wärmer war. Brica hatte einmal gesagt, dass seit Beginn der schlechter werdenden Jahre mehr als die Hälfte der Menschen gestorben oder von der Nordküste weggezogen war. Thorol und Thear kannten nur die ständige Verschlechterung, die sich auf sie wenig auswirkte, solange es in Himscaelmatar noch Vorräte und im Meer Fische gab. Aber die Menschen hatten sich verändert, das hatte Brica gesagt. Sie waren hart und herzlos geworden, ein Schutzmantel gegen die Angst einmal zu denen zu gehören, die als Verhungerte in der Kälte erstarrt in den verlassenen Siedlungen lagen und nicht beerdigt wurden, da keiner mehr lebte, der das hätte tun können, sondern den wilden Tieren blieben oder bei der Schneeschmelze verrotteten.

„Wieso das alles?", fragte Thorol leise, unvermittelt und für ihn selbst überraschend. Es war nicht die Art von Fragen, die er sonst stellte.

Brica und Thear sahen ihn kurz an. Was er meinte, war eigentlich unklar, aber Brica sagte: „Darüber hab ich mit Thear geredet, bevor du herein kamst." Er sah zur Decke hoch. „Diese Halle wurde von unseren Vätern erbaut, Thorol. Die Welt, in der sie gelebt haben, muss aus den Fugen geraten sein. Es stimmt etwas nicht mehr zwischen den Göttern und den Menschen."

„Aber was genau?", fragte Thorol. Es war für ihn selbst verwirrend, dass er solche Fragen stellte, so war er selten. Das Gerede über die Sköllinger musste ihn dazu gebracht haben.

Brica zuckte mit den Achseln. Draußen heulte der Wind um die Hallenmauern. „Seit die Winter härter und die Ernten schlechter geworden sind, wurden schon viele Wahrsager, Opferbeschauer und Sterndeuter danach gefragt. Aber du kannst von solchen Leuten nur Andeutungen, nicht Antworten verlangen. Es wurde immer wieder gesagt, dass die Gesetze gebrochen wurden, dass die Tore des Totenreiches offen stehen, dass die Dunkelheit kommt.", sagte er und wiegte den Kopf. „Ich habe das schon oft gehört, ihr sicher auch einmal. Es gibt noch andere Weissagungen, die sagen, dass ein Schwarzer Drache kommen wird, dass ein König bald nicht mehr sein wird, was er einmal war, dass einer kommen wird, das Rad zurückzudrehen. Und es wird gesagt, dass als letztes Zeichen ein Bote vom Meer kommt in eisiger Zeit. Soviel wird gesagt. Aber wie viel man davon glauben kann, will ich nicht beurteilen. Lange wurde gesagt, dass im nächsten Jahr kein Winter kommen wird und überall Blumen aufgehen. Aber dann wurde es doch immer schlechter."

Die Brüder schwiegen. Draußen heulte der Wind.

Jemand klopfte an das Tor der Halle. Dann wurde es geöffnet und eine Gestalt trat ein. „Die Holzfäller sind gekommen.", sagte der Mann im Fellmantel nach einer Verneigung.

„Kümmere dich bitte darum, Thorol.", sagte Brica.

Thorol nickte, stand auf und ging zum Tor hin, das ihm der Mann im Fellmantel gehorsam aufhielt, wobei Schneeflocken in die Halle hinein tanzten.

„Er erledigt sehr viele Aufgaben für dich.", sagte Thear zu Brica.

Brica nickte. „Ich weiß. Die Leute gehorchen ihm, weil er selten eine Schwäche zeigt und oft aus dem Gefühl heraus weiß, was richtig ist. Aber er muss lernen mehr aus dem Kopf zu handeln. Das Gefühl reicht dir bei den täglichen Arbeiten und im Schlachtgetümmel, aber bei allem, was darüber hinaus geht, reicht es nicht. Euer Vater dachte auch nicht viel nach, als er in das rote Schiff stieg und nach Westen segelte."

Thear schwieg. Er und sein Bruder hatten ihren Vater Rolir zuletzt als kleine Kinder gesehen. Nachdem seine Frau und seine Mutter am Fieber gestorben waren und er wie sein Vater zu einem Witwer geworden war, hatte er mit dem großen, roten Schiff des Fürsten eine Reise angetreten. Er wollte neues Land entdecken, das grün und freundlich war, hieß es. Er war aber wohl auch in die Ferne gesegelt, weil es seine Art von Trauer war. Nur war er nicht von dieser Reise zurückgekehrt. Zwanzig Jahre war das her. Thorol und Thear hatten sich längst damit abgefunden, dass ihnen bis auf einige entfernte Verwandte nur noch ihr Großvater geblieben war. Brica hatte aber früher einmal gesagt, dass er immer noch auf die Rückkehr seines Sohnes wartete. Angeblich hatte ihm ein Wahrsager Hoffnung gemacht. Es war merkwürdig, Brica legte sonst nie Wert auf die Sprüche der Leute, die von sich behaupteten, sie könnten das Geschehen der nächsten hundert Jahre voraussagen.

Draußen vor der Halle warteten zehn Holzfäller auf den Lohn für drei in Stücke geschlagene Tannenstämme, die auf zwei von alten Pferden gezogenen Wagen lagen. Sie sahen wie halb erfroren aus, einige mussten wohl auch schon Erfrierungen haben. Aber viele hatten keine andere Wahl als auch im Winter Holz zu fällen, wenn sie nicht verhungern wollten. In Himscaelmatar wurde immer Brennholz gebraucht.

Thorol sah sich die Stämme genau an, während seine Diener auf ihn warteten, um den vereinbarten Lohn dann auszuzahlen. Drei unruhige, Zähne bleckende Hunde wurden von ihnen festgehalten, denn sie neigten dazu jeden Fremden anzufallen. Das Holz schien in Ordnung zu sein.

„Zwei Silberstücke und zwei Kornsäcke.", sagte Thorol dann.

„Das ist zu wenig.", sagte der älteste Holzfäller. „Davon verhungern wir."

Thorol ging noch einmal zu den Stammteilen hin und prüfte sie, dabei sahen sie schon von fern gut aus. „Davon verhungert ihr nicht.", sagte er.

Einer der Hunde knurrte. Es war ein grob gebauter Rüde mit scharfen Zähnen. Am Vormittag hatte er einen der Hirsche so stark gebissen, dass Thorol das blutende Tier nur noch leicht mit dem Speer hatte anstupsen müssen, um es zu töten.

„Wir haben schon im Herbst Gras gegessen.", sagte ein anderer Holzfäller, der hohlwangig und wie ein Skelett aussah.

Thorol nickte. „Zwei Silberstücke, drei Säcke, wenn ihr das Holz in Scheite zerlegt, vier Säcke. Darüber gehe ich nicht hinaus.", sagte er mit verschränkten Armen. „Hier gibt es noch viele andere, die versorgt sein wollen."

Die zehn Holzfäller sahen wütend aus und die Hunde bellten. Aus den Augenwinkeln sah Thorol, wie die Hand eines Kriegers am Schwert lag.

„Ihr dürft heute hier in der Halle mit uns essen.", fügte er hinzu.

Der älteste Holzfäller sah die anderen an und dann nickte einer nach dem anderen. Thorol ging zu den Dienern hin. „Zahl ihnen den Lohn aus, Orlof.", sagte er zu seinem runzelig- bärtigen Jagdgenossen, während hinter ihnen die Holzfäller die Stammteile zu Scheiten schlugen.

„Du hättest ihnen weniger zahlen können.", sagte Orlof.

Thorol nickte widerwillig. Er hatte sich breitschlagen lassen vom Elend dieser Holzfäller. Brica hatte ihm früher schon die schlimmste Nachgiebigkeit aberzogen. Es gehörte sich für einen zukünftigen Fürsten für seine Leute zu sorgen und nicht geizig zu sein, hatte Brica gesagt, aber er musste auch bedenken, dass jeder Sack Korn, der zusätzlich gegeben wurde, dann nicht für die Versorgung der Wachen, der Diener, für die Gaben an die Armen und die Bereitstellung von Waffen und Vorräten zur Verfügung stand. Aber Thorol war oft warmherziger, als die anderen dachten.

Er musste sich eine Übersicht über den Besitz an Korn und Silber machen. An Fischen gab es nie Mangel, die Fischer von den Dörfern am Meer machten immer einen guten Fang an Heringen, Lachsen, Kabeljaul und Dorschen. Was getrocknet werden konnte, wurde getrocknet und, soweit entbehrlich, nach Himscaelmatar geschickt. Die Fischerei war wohl der Grund, wieso Himscaelmatar mit dem Fürstensitz überhaupt noch bestand und nicht verlassen worden war. Der andere Grund war wohl, dass Thorol immer wieder zeigte, dass er keine Räuber von Vorräten duldete und bereit war sie bis zum Ende zu verfolgen, wenn sie in die Gegend kamen. Er ging an den Holzfällern vorbei, die mit ihren alten, zum Teil schon recht schartigen Äxten leicht brennbare Holzscheite zurechtschlugen und dabei helle Stücke des Innenholzes hoch durch die Luft fliegen ließen, und kam zum Tor. Die zwei Wachen hatten das Tor zwar nicht geschlossen, dafür aber das hölzerne Gatter dahinter zugesperrt, sodass vor allem die Bettler, die im Winter nach Himscaelmatar kamen, draußen bleiben mussten. Es gab bestimmte Zeiten, zu denen ein wenig Brot verteilt wurde, aber die Bettler konnten nicht bleiben, es gab nicht genug Vorräte und Unterkünfte, um sie versorgen zu können. Draußen vor dem Gatter war niemand. Früher war es vorgekommen, dass sich dutzende Hungernde vor dem Gatter drängten, ihre Kinder hochhielten und um Essen flehten. Jetzt war die Palisade, die Himscaelmatar umschloss, zu einer bestimmten Zeit geschlossen und alle, die hier nicht wohnten oder Händler waren, mussten den Ort dann verlassen haben. Vor den Palisaden gab es einige kleine Hütten, in denen einige Menschen unterkamen. In letzter Zeit waren es mehr Hütten geworden dort draußen auf den grauweißen Feldern, aus denen Stoppeln toten, gelben Grases herausragten. Thorol sah zu ihnen hinunter, dort waren einige schwarze Gestalten zu sehen und zwischen den Hütten leuchteten kleine Feuerchen, an denen sich die Menschen wärmten. Manchmal kam es vor, dass die Bettler Schwierigkeiten machten, aber auf die Männer von Himscaelmatar, die dort unten ihre Höfe und Ställe hatten, konnte Thorol zählen, wenn der Frieden in Gefahr war. Obwohl das Tor durch die Palisaden dort unten bewacht wurde, kam es immer wieder vor, dass Bettler vor die Burg gelangten und versuchten hinein zu kommen. Dafür war das Gatter geschlossen worden, auf diese Art konnte man Leute aus den Höfen zumindest noch schnell hinein lassen, wenn es ein dringendes Anliegen gab. Damit niemand unbemerkt die Burg betreten konnte oder sich am Gatter zu schaffen machte, gab es die Hunde, die knurrten und bellten, wenn jemand kam.

Thorol wärmte sich zusammen mit den Wachen seine Hände am Feuer aus brennendem Fichtenholz, dessen Funken hoch in den dunklen Himmel flogen. „Seid immer wachsam.", sagte er zu den beiden Kriegern. „Himscaelmatar ist der einzige Ort innerhalb von zwei Tagesreisen, der große Vorräte besitzt."

Der eine Krieger zuckte mit den Achseln. „Es sind nicht mehr viele übrig, die uns angreifen könnten. Seit letztem Jahr sind auch die Sköllinger weg."

Der andere stimmte zu: „Und das Tor da unten wird auch bewacht."

„Es kann immer Feinde geben, die von fern kommen, um hier zu plündern. Das alte Königreich ist ja mehr oder weniger zerfallen.", sagte Thorol ins Feuer schauend. „Was ich fürchte, sind Reiterangriffe. Wenn viele auf einmal kommen und sie auch gut bewaffnet sind, werden sie von den Wachen da unten nicht lange genug aufgehalten werden können. Ihr müsst immer Ausschau halten, wen ihr da unten auf den Feldern seht."

Einer der Wachen stand auf und überblickte die von Schnee und Eis bedeckten Weiten, die nur an der endlosen dunklen Fläche des fernen Meeres ein Ende fand. Hier und dort waren schon Feuer von weiter entfernten Dörfern zu sehen, die durch die Dunkelheit leuchteten. „Es sind immer nur einige wenige zu sehen, die in unsere Richtung oder von uns weg gehen."

Thorol nickte. „Aber auch vor denen müsst ihr aufpassen. Meist sind es ja nur Bauern, die etwas verkaufen wollen. Aber die Feinde, die wir vielleicht noch haben, können keine Belagerung mehr zustande bringen. Also müssen sie es mit der Macht der Überraschung oder mit List versuchen. Stellt euch vor, sie schleusen ihre Leute in den Ort ein und öffnen dann die Tore für die anderen."

Die beiden Krieger schwiegen, sie hatten wohl noch nicht daran gedacht. Aber es war einleuchtend. Der Hunger und die Verzweiflung auf der Seite der Feinde konnten die stärksten Verbündeten oder auch die schlimmsten Widersacher sein. Hinter ihnen war das ständige Schlagen der Holzfälleräxte auf das mal weiche, mal harte Holz zu hören. Sie hatten schon eine große Menge an Holzscheiten angesammelt.

„Aber es gibt ja auch andere Feinde, die vielleicht noch schlimmer sind.", sagte ein Krieger mit gesenkter Stimme.

Thorol wusste, was er meinte. Immer wieder gab es Gerüchte vom Auftauchen schauerlicher Wesen, von besessenen Wölfen, die keine Furcht kannten und Menschen angriffen, vielleicht verzaubert waren, von Drachen, die aus dem Meer und vom Himmel kamen, von Schatten, die durch die Wälder streiften. Er schüttelte den Kopf.

„Es wird schon lange gehungert. Die Angst gibt den Menschen Wahnvorstellungen.", sagte er und wiederholte dabei etwas, das ihm sein Großvater gesagt hatte. „Und denkt mal nach: Solche Angriffe hat es hier in unserer Nähe noch nie gegeben. Wieso sollen solche Wesen denn unsere Gegend meiden, wenn es hier wohl am meisten zu holen gibt?"

Die zwei Krieger schwiegen. Thorol hatte in seinem Innersten auch manchmal Angst vor diesen Geschichten, die im Land die Runde machten. Aber das, was ihm sein Großvater gesagt hatte, ließ ihn nicht an so etwas glauben. Hinter ihm waren die Holzfäller mit ihrer Arbeit fertig und der Hofboden war von abgeschlagenen Holzstückchen übersät.

„Ihr sorgt dafür, dass wir hier sicher sind.", sagte er und klopfte den beiden auf die Schultern.

Als er sich umwandte, um von der Wehrmauer herunter zu steigen, sah noch einmal auf die verschneiten Weiten hinunter. Dort war nichts, bis auf eine kleine, schwarze Gestalt, die sich auf einem ausgetretenen Weg in ihre Richtung bewegte. Wieder ein Bettler. Er ging hinunter.

Bearbeitet von Murazor
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In der Halle wurden Feuer angezündet, als gegessen wurde. Etwa hundertfünfzig Menschen waren gekommen. Die meisten Bewohner der Burg hatten sich eingefunden, dazu die zehn Holzfäller und einige Leute aus den Höfen. Während draußen noch immer der Wind heulte und es immer weiter schneite, kam hier drinnen keine ganz muntere Stimmung auf. Auf den langen Bänken, an denen die einfachen Gäste und die Diener und Wachen saßen, wurden Brot und Fisch aufgetischt. Dazu füllten fünf Dienerinnen die tönernen Krüge mit einem wässrigen Bier. Beim Thron war die Bank für den Fürsten, seine zwei Enkel und die engsten Gefolgsleute aufgestellt. Brica und seine zwei Enkel waren noch immer so angezogen wie vorher, es war unter den Leuten, die sie kannten, nicht nötig mit Prunkmänteln und Goldgeschmeide zu essen. Da er bei so vielen fremden Gästen Unruhe befürchten musste, hatte Thorol sieben Wachen in und um die Halle aufgestellt. Es war ein ganz einfaches Essen und darum waren auch keine Dichter oder Sänger in der Halle, was ohnehin selten genug vorkam. Männer und Frauen, die schöne Lieder sangen und dazu mit Harfen oder Flöten spielten, gab es hierzulande kaum mehr, stattdessen fand man nur noch merkwürdige Gestalten, die böse Geschichten erzählten und die niemand bei sich haben wollte. Besonders war heute nur der Hirschbraten, der für das engere Gefolge des Fürsten aufgetischt werden würde. Einer der Gäste war Milnir, ein stämmiger Mann mit zerzaustem braunem Haar, Stupsnase und vom Wetter gezeichnetem Gesicht, der aus Lirmoc, dem größten Fischerdorf an der Küste, kam und am Vortag einen großen Fang gebracht hatte. Da manchmal Handelsfahrer in den Fischerdörfern anlegten, hatte er auch einige Neuigkeiten zu erzählen.

„Die schlechten Verhältnisse haben auch in den Süden ausgegriffen und das Reich von Aelgramar ist jetzt auch von ihnen betroffen.“, erzählte er am Bierkrug nippend. „Der Händler wollte am Anfang gar nicht recht glauben, dass wir hier so weit im Norden noch recht anständig leben können. Das Meer meint es gut mit uns.“

Brica nickte. „Der Meereskönig war immer ein Freund unseres Hauses, Milnir. Wir waren auch lange sehr gute Seefahrer und sind weit gesegelt.“

„Aber das ist jetzt nicht mehr so. Schade.“, sagte Milnir und nahm einen großen Schluck.

„Wir brauchen die Arbeitskraft, um die Wehrmauern, Palisaden, Häuser und Ställe instand zu halten und um so viel wie noch möglich aus dem Boden oder aus dem Meer zu ziehen. In diesen Zeiten brauchen wir keine großen Schiffe.“, sagte daraufhin Brica.

„Ich sage schon seit langem, dass es viel bringen würde, auf Entdeckerfahrt zu gehen.“, erwiderte Milnir. Er kannte Brica schon seit vierzig Jahren, hatte ihn zum ersten Mal als Kind gesehen und sprach deswegen offen vor ihm. „Aegadnar der Meereskönig wird uns günstigen Wind schicken, wenn wir zu neuen Ufern aufbrechen. Er hat uns die letzten Jahre vor dem Hungertod bewahrt, während die Fische an vielen anderen Küsten weniger geworden sind.“

„Ich habe mit Entdeckerfahrten schlechte Erfahrungen gemacht, Milnir.“, sagte Brica. „Mit dem roten Schiff habe ich mein einziges Kind verloren. Dabei war es wohl das beste Schiff, das jemals an der Nordküste gebaut wurde. Du warst einer der Schiffbauer, Milnir.“, sagte er dann, woraufhin die Runde um ihn sehr still wurde.

Was Milnir darauf sagen sollte, wusste er nicht, also schwieg er lieber und starrte in seinen Bierkrug, während in den Rest der Runde keine richtige Stimmung mehr kommen wollte.

„Was hat der Handelsfahrer sonst erzählt?“, fragte Thear, um das Eis, das sich über die Unterhaltung gelegt hatte, aufzubrechen. Aber das glückte ihm nicht.

Milnir zögerte kurz. „Keine schönen Dinge. In Mongorres sollen Drachen erschienen sein.“

Brica sah kurz zu seinen Enkeln hinüber. Genau über solche Dinge hatten sie gesprochen. Das halb zerfallene Königreich von Mongorres, dessen König ein entfernter Verwandter war, lag ganz in der Nähe, nach drei Tagesritten in Richtung Südwesten war man dort, mit dem Schiff innerhalb eines halben Tages, wenn der Nordwind wehte. An Drachenangriffe dort konnte man nur glauben, wenn man arm, hungrig und verzweifelt war.

„Und auf dem Meer stürmt es ohne Unterlass.“, fuhr Milnir fort. „Wir selbst bekommen davon nicht so viel mit, aber die Händler trauen sich kaum noch auf das Meer und in den Norden wollen sie ohnehin nicht.“

„Wie ist dann dieser Händler zu dir gekommen?“, fragte Thorol.

„Er wurde von seinem Weg abgetrieben.“, antwortete Milnir. „Um diese Jahreszeit weht eigentlich nur der Nordwind, aber er wurde von einem Sturm aus dem Süden zu uns getrieben. Merkwürdige Dinge gehen vor sich.“

Kurz wurde geschwiegen. „Kommt dieser Händler eigentlich auch einmal zu uns?“, fragte Thear. „Er wird ja nicht lange in deinem Dorf bleiben.“

Milnir verzog seine Miene. „So schlecht sieht es bei uns auch nicht aus. Wir haben die Anlegestelle, die Werft und unseren kleinen Markt. Außerdem haben wir immer genug zu essen. Mein kleines Dorf wächst, junger Herr.“

„Sicher, Milnir.“, unterbrach ihn Brica. „Aber der Händler wird schon noch selbst kommen, oder?“

„Selbstverständlich, Herr, wenn es noch länger dauert, bis wir sein halb vom Sturm zerlegtes Schiff wieder instand gesetzt haben.“

Da traf ein heftiger Windstoß die Halle, deren mächtige Wände kurz erzitterten und die Menschen darin verstummen ließen. Aber es kam kein neuer Windstoß, es war nur einer von den Wachen zu sehen, der vorne die Halle betrat.

Brica nahm einen tiefen Schluck. „Das ist traurig, Milnir, ich unterhalte mich gerne mit Gästen, die von fern kommen. Leider kann ich wegen meines Beines schon lange nicht mehr reisen.“

„Er bietet ohnehin nur bunte Leinenstoffe an.“, sagte Milnir.

„Nun denn, dafür haben wir hier keinen großen Bedarf.“

Das Gespräch wurde unterbrochen, als der Krieger von den Wachen vortrat, sich kurz verneigte und dann um die Bank herum zu Thorol ging, während Brica und Milnir ihr Gespräch fortsetzten. Der Krieger sah beunruhigt aus.

„Ein Fremder steht vor dem Gatter, Herr.“, flüsterte er Thorol zu.

„Kennt ihr ihn?“, fragte Thorol.

„Nein, Herr. Es ist vielleicht ein Bettler.“

„Dann schickt ihn weg. Wenn er nicht will, müsst ihr nachhelfen. Wie kann er eigentlich überhaupt nach Himscaelmatar hinein gekommen sein, das Palisadentor unten ist doch gesperrt?“

„Ja sicher.“

„Dann hat er sich gegen das Verbot in die Stadt geschlichen. Verjag ihn oder was ist los?“

„Herr- die Hunde knurren ihn nicht an.“, sagte der Krieger leise, fast unverständlich.

„Wie?“

„Sie knurren nicht, sie bellen nicht, sie schleichen sich von ihm weg.“

Thorol musste nicht lange nachdenken. Die Wachen waren nicht zu dumm, um sich um einfache Bettler selbst zu kümmern. Also konnte etwas nicht stimmen. Er stand auf und warf sich seinen Fellmantel um, sein Schwert hing wie immer an seiner Seite. Sein Großvater und die anderen sahen kurz zu ihm hin, fragten aber nicht weiter nach, als er mit dem Krieger in Richtung des Ausganges ging.

„Ist er gefährlich?“, fragte Thorol. „Trägt er Waffen?“

Der Krieger zuckte mit den Achseln. „Das wissen wir nicht. Er steht einfach da und fordert Einlass.“

Thorol fluchte innerlich und gab den zwei Wachen, die mit Speeren vor dem Tor der Halle standen, einen Wink, dass sie ihm folgten. Einige Köpfe drehten sich in ihre Richtung um, als Thorol das Tor aufwarf und in das Schneegestöber schritt.

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Gut geschrieben. Kann man sich schön vorstellen. :-)

Und es ist auch wieder im alten üblichen Murazor-Stil wie ich finde. ;-)

Thorol wusste, was er meinte. Immer wieder gab es Gerüchte vom Auftauchen schauerlicher Wesen, von besessenen Wölfen, die keine Furcht kannten und Menschen angriffen, vielleicht verzaubert waren, von Drachen, die aus dem Meer und vom Himmel kamen, von Schatten, die durch die Wälder streiften. Er schüttelte den Kopf.

Das mit den Drachen finde ich ja interessant. Vom Himmel her kann man sich ja noch erklären, aber aus dem Wasser? Hast du dich da weiter mit beschäftigt?

Ansonsten hast du ja jetzt ganz schön viele Stricke, die du dir offen gehalten hast. Das mit dem Vater ist auf jeden Fall spannend und auch die vielen "Prophezeiungen" von Wahrsagern, Sterndeutern müssen ja nicht falsch sein.

Also, bin gespannt wies weitergeht und was Thorol mit dem merkwürdigen Fremden macht.

(Und nicht wundern, wenns bei mir manchmal länger dauert, bis ich einen Text hier im Forum durchlese/was dazu schreibe)

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Die Geschichte entwickelt eine eigene Komplexität, sodass ich bei dem schon Geschriebenen Änderungen vornehmen musste. Der beste Weg schien mir, einen Prolog hinzuzufügen.

Es kann sein, dass jemand von der Handlung verwirrt wird. Irgendwann wird es wohl nötig sein, Karten hinzuzufügen. Ich hoffe, dass sich die Welt der Handlung aus derselben erschließen lässt.

In der Zwischenzeit kupfere ich munter von Tolkien, von der nordischen, keltischen und vielleicht irgendwann noch von der römisch- griechischen Mythologie ab.

Viel Spaß beim Lesen.

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  • 2 Monate später...

Diese Geschichte habe ich definitiv zu früh reingestellt. Mittlerweile sieht mein Konzept ziemlich anders aus.

Für Thorol, Thear und ihren Großvater Brica ist da auch noch eine Rolle vorgesehen, aber nicht ganz in der Form, auf die ich bisher hingeschrieben habe.

Das hier war zu voreilig.

"Der Bastard von Arthedain" wird schon eher vollendet. Mittelerde- Geschichten haben den großen Vorteil, dass man schon viel vorgefertigt bekommen hat- von Tolkien. Bei ganz eigenen Kreationen führt die große Gestaltungsfreiheit oft zu vorzeitigen Abbrüchen, da man sich in der eigenen Fantasy verliert. Beim "Bastard" schreibe ich derzeit aber nicht linear weiter, sondern schreibe verschiedene, zeitlich ganz verschieden angeordnete Teile, die ich dann zusammensetze. Es wird also noch eine Weile dauern, bis ich neue Texte reinstelle.

Ein wenig mies ist die geringe Leserzahl. Aber das kann ich verstehen. Wer exzellente Texte schreibt, wandelt sich schnell zum Romanautor um. Der Rest zieht nicht unbedingt viele Leser in die Foren.

Meine Geschichten beurteile ich noch nicht so, dass sie printreif wären :buch:

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