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Fanfiction: Fanrins Krieg


Murazor

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Servus allesamt, hier melde ich mich wieder zurück nach längerer Zeit der Versenkung!

Ich habe den Anfang einer Fanfiction- Story geschrieben, die in Mittelerde im Zweiten Zeitalter handelt. Ich halte mich dabei nach Möglichkeit an Tolkiens historische Vorgaben.

Meine Geschichte soll einen Teil der Elbengeschichte behandeln, die "Fanrins Krieg" genannt wird. So etwas wurde von Tolkien nie erwähnt, also entstammt es ganz meiner eigenen Fantasie, allerdings bleibt die Story im Rahmen von Tolkiens Mittelerde.

Es geht hier weniger um Liebe, Abenteuer oder Gefühle als um einen vergessenen Teil der Geschichte des Elbenvolkes, der deswegen vergessen wurde, weil "Fanrins" Krieg keine deutlichen Spuren hinterlassen sollte. Es geht um Herrschaft, Macht und den Stolz der Elben, wie wir ihn aus dem Silmarillon kennen. Ich hoffe, dass diese Art von Geschichte bei euch ankommt.

Für die Geschichte habe ich einige Orte und Namen frei erfunden. So decken sich manche Elbennamen weder mit Quenya noch mit Sindarin. Bitte hierbei um Vergebung.

Für die Story berufe ich mich auf eine fiktive Quelle, nämlich ein elbisches Geschichtsbuch, das genauso real ist wie das Rote Buch oder die Chroniken Gondors. Wegen des Umfangs der Handlung wird das Ganze wohl etwas Fragmentarisch wirken.

Ich hoffe, dass ihr alle mein bescheidenes Werk lest und freue mich auf eure Meinung dazu. :knuddel:

Fanrins Krieg

Vorwort

Diese Geschichte entstand auf der Grundlage eines elbischen Geschichtswerkes, dem „Buch der Taten der Eldar Mittelerdes im Dritten Zeitalter der Sonne“. Die Entdeckung dieses elbischen Geschichtswerks war sehr bedeutend, denn durch sie schlossen sich Lücken in der Geschichtsschreibung des Zweiten Zeitalters, die sich nicht auf Numénor bezog. Der Autor dieses in die drei Bände „Der Krieg des Gil- Galad“, „Die Eldar zwischen Númenor und dem Osten“ und „Das Bündnis mit den Menschen des Westens“ unterteilten Geschichtswerkes, das in der Mitte des Dritten Zeitalters geschrieben wurde, war allem Anschein nach ein gelehrter Elb namens Norestir, der unter Elrond in Imladris lebte und dort auf alle elbischen Aufzeichnungen aus dem Zweiten Zeitalter und teils auch aus dem Ersten zurückgreifen konnte, anscheinend standen ihm dabei auch die Archive von Mithlond offen. Norestir, wie sein Sindarname war, war offensichtlich ein Noldo vom alten Schlag, denn er schrieb sein Werk auf Quenya, das zur damaligen Zeit auch unter Elben kaum noch gesprochen wurde.

Der zweite Band dieses Geschichtswerkes handelt zu gut einem Drittel über die Taten eines gewissen Fanrin, der bis dahin so gut wie unbekannt war. Selbst den meisten Elben, die später noch in Mittelerde weilten, sagte der Name kaum etwas, doch sein Name stand, wie dann wieder ans Licht kam, für nichts weniger als ein gewaltsames Aufbäumen der stolzen Elbenfürsten gegen die sich ausbreitende Herrschaft der Menschen im Zweiten Zeitalter überall in Mittelerde.

Fanrin, der in der Chronik „Nordanó“ genannt wurde, war ein Mitglied des ehrwürdigsten Noldor- Hochadels. Soweit man seine Geschichte erschließen konnte, stammte er aus dem Hause Fingons, sein Vater war Heerführer des Hochkönigs der Noldor in den Kriegen der Noldor gegen Morgoth gewesen. Fanrin wurde in Hithlum geboren und geprägt von dem Ehrgeiz führender Elbenfürsten nach der Herrschaft über Mittelerde und dem gleichzeitigen Überlebenskampf gegen Morgoth. Zur Erziehung kam er zu Feanors Söhnen und wurde Mitglied ihres Gefolges. Er galt von Jugend an als Fürst, hatte aber keinen großen Einfluss auf Feanors Söhne, wurde aber wohl auch von Maedhros mitgeprägt, an dessen Hof er sich aufhielt. Die letzten Kämpfe im Ersten Zeitalter überstand er unbeschadet im Südosten Beleriands und heiratete eine Noldorfrau aus dem Gefolge der Söhne Feanors. Dann kam er nach Eregion.

Erstmals erschien er im Krieg zwischen Númenor, den Elben und Sauron auf der Bühne, wenn auch nur in der zweiten Reihe der Elben. Er war mit dabei, als Eregion in Trümmern versank, dieses Erlebnis prägte den Elbenfürsten, der eine seiner drei Töchter in Ost- in- Edhil verlor. Er schloss sich nach langer Irrfahrt im Norden Elrond an und kämpfte in den Hügeln Rhudaurs mit großer Tapferkeit, sodass man erstmals an vielen Orten seinen Namen hörte. Mehrfach wurde er verwundet, aber er überlebte viele Schlachten. Nach dem Krieg war er ein selbstbewusster Elbenfürst mit gewachsener Gefolgschaft.

Als Noldo ordnete er sich Gil- Galad unter, der in Forlond am fernen Meer residierte, doch es zeigte sich schon bald, dass der früher als unscheinbar betrachtete Elbenfürst einen eigenen Ehrgeiz entwickelt hatte. Er zog weder in die Elbenfeste Imladris, wo der Halbelb Elrond herrschte, noch nach Lindon, wo er sich seinem Hochkönig unterzuordnen hatte. Er baute sich eine eigene kleine Elbenstadt im Hügelland nahe dem Mitheitel, die er Nilmaron nannte. Dort hielt er seine Gefolgsleute, Noldor aus den verschiedenen Häusern, die sich ihm wegen seines Ruhmes und seiner Überzeugungskraft angeschlossen hatten, aber auch Sindar, mit denen sich der stolze Noldo gut verbünden konnte. Seine zwei Töchter verheiratete er an andere Elbenherren.

Bald wurde den anderen Elbenherrschern bekannt, dass der Noldorfürst in seiner Stadt im Norden offenbar Pläne schmiedete und auch die nötigen Waffen dazu. Mit Zwergen hatte er Verträge geschlossen und Kundschafter in den Süden geschickt.

Zu diesen Zeiten hatte sich Mittelerde seit dem Großen Krieg verändert. In Númenor herrschte König Tar- Telemmaite. Die Meermenschen vom fernen Númenor liefen mit ihren Schiffen längst nicht mehr nur die Grauen Anfurten an, sondern hatten überall an der Küste Festungen und Häfen erbaut und streckten langsam aber sicher ihre Fühler ins Landesinnere aus, wo sie Handelswege erschlossen, Flüsse hinauffuhren und ihre Krieger wilde Stämme tributpflichtig machten durch die Härte ihrer Schwerter. Die Menschen hatten sich vermehrt, nun waren es ihre Dörfer, auf die man im Westen Mittelerdes traf, nicht mehr die Siedlungen der Elben. Ihre Stämme besiedelten die einstigen Reiche der Elben. Und in der Ferne lauerte noch immer der große Sauron.

Später beschrieb Norestir in seiner Chronik eingehend diese Situation, um das zu erklären, was dann kam. Auch wenn das Geschichtswerk nicht auf alle Fragen eine Antwort geben kann, zumal es auch nicht vollständig erhalten ist- erst nach etwa hundertfünfundsiebzig Jahren in einer schlecht gepflegten Ecke der königlichen Bibliothek von Minas Tirith wurde das einzige im Vierten Zeitalter noch erhaltene Exemplar wieder entdeckt- doch kann man heute zumindest in Grundzügen die damalige Lage verstehen und die Unruhe in den Städten der Elben.

Nach dem Kalender der Menschen war es der dritte März im Jahr 2516 des Zweiten Zeitalters.

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In den Bergen Rhudaurs, am Bruinental

Die Wachen der Elben von Imladris sahen die herannahende Schar von Reitern schon lange von ihren Posten nahe dem verborgenen Tal. Es waren ebenfalls Elben, die da kamen, eine große Gruppe von Berittenen mit Waffen und in glänzenden Rüstungen. Ein Bannerträger hielt das Zeichen der Elben von Nilmaron, das gleichzeitig auch das Zeichen eines Elbenfürsten namens Fanrin war, der sich dort auf den Wiesen des Nordens seine Machtbasis erbaut hatte. Bekannt war von dieser Stadt, wo oft der kalte Nordwind wehte, nur, dass der Elbenfürst dort ziemlich frei vom Einfluss aller anderen Elbenherren war.

Ein Hornsignal schallte durch die Berge und kündigte baldigen Besuch an. Das Gefolge Elronds, der als Statthalter des Hochkönigs Gil- Galad diese Elbenfeste beherrschte, war geübt in diesen Vorgängen. Innerhalb kurzer Zeit wusste man im Tal, wer sich da näherte.

„Fürst Fanrin ist gerade über die Furt geritten.“, wurde Elrond im Heimischen Haus gemeldet. Im größten Haus von Imladris war man immer auf Besucher vorbereitet, nur der Besuch Fanrirs kam selbst für ihn überraschend.

„Wieso verlässt Fürst Fanrin nun doch seine Stadt im Norden?“, fragte er sich.

„Er muss gehört haben, dass ich mich hier aufhalte.“, hörte Elrond die Stimme seines Onkels und Königs Gil- Galad hinter sich. Der Hochkönig der Noldor in weißer Kleidung, mit seinem rabenschwarzen Haar und den Augen, aus denen gleichermaßen Stolz wie Weisheit sprachen, trat neben Elrond an das nach Süden geöffnete Fenster des Heimischen Hauses. Er, der höchste Elbenfürst im Westen Mittelerdes, hatte seinem Verwandten Elrond, der die östlichste Festung der Elben in Eriador regierte, einen Besuch abstatten wollen, um sich dabei auch gleich über die Lage im Osten und Süden zu unterhalten. Es ging dabei um die sich ausbreitende Macht der Menschen im Süden und die Zweifel an den friedlichen Absichten der einstigen Verbündeten aus Númenor, die immer weiter nach Norden kamen, aber auch um die noch immer nicht erloschene Macht Mordors in Eriador, wo in den Bergen noch immer Orks umherstreiften.

„Was wird er wollen?“, fragte Elrond. „Jahrelang hat er da oben in Nilmaron sein eigenes Süppchen mit den Noldor seines Gefolges und den befreundeten Grauelben gekocht und nun erscheint er zum ersten Mal seit fast einem Jahrhundert wieder in Imladris.“

Gil- Galad blickte noch immer abwesend durch das Tal, wo der in Imladris immer milde Winter ein wenig Schnee an den Hängen hatte fallen lassen. Auch wenn hier die Blätter mancher Bäume kahl waren, standen in den Gärten der Elben immergrüne Gewächse, einige streckten sogar schon ihre Blüten aus.

„Du hast natürlich immer ein wachsames Auge auf ihn gehalten, oder?“, fragte Gil- Galad Elrond.

„Ich habe mir regelmäßig Nachrichten aus Nilmaron zukommen lassen.“, antwortete der. „Er hat dort oben viele gefüllte Waffenkammern. Ich weiß nicht, was er damit vorhat.“

„Ich kann mir vorstellen, dass er dieses wie auch immer geartete Vorhaben jetzt durchführen will. Wieso sonst sollte er sich auf einmal nach Imladris begeben.“, meinte der König. „Ich irre mich wahrscheinlich nicht, wenn er dazu meinen Rat und meinen Segen haben will.“

Elrond wollte da nicht ohne weiteres zustimmen. „Er hat viele Jahre lang bewiesen, dass er seine Vorhaben am liebsten allein umsetzt und er hat sich absichtlich nach Norden hin abgesetzt, wo Ihr keinen großen Einfluss auf ihn habt.“

Gil- Galad schloss für einen Moment die Augen, als er sie wieder öffnete, ertönte ein Wiehern und er sah, wie die ersten Reiter von Fanrirs Gefolge auf der anderen Seite ins Tal hineinritten. Er wandte sich wieder seinem Neffen zu: „Du vergisst, Elrond, dass er zu manchen Dingen meine Zustimmung gebraucht hat. Er hätte Nilmaron niemals gründen können, wenn ich nicht meine Zustimmung zu diesem Vorhaben gegeben habe. Ich kenne Fanrin, auch wenn ich ihn bei weitem nicht so oft in meiner Nähe hatte wie dich. Er ist ein Aristokrat der Noldor vom alten Schlag. Für ihn hat mein Titel eines Hohen Königs der Noldor eine große Bedeutung, auch wenn ich jenseits von Lindon keine echte Herrschaft mehr habe. Ich bin mir sicher, er ist nur hier, weil er auf irgendeinem Weg von meiner Anwesendheit erfahren hat, wahrscheinlich vor ganz kurzer Zeit, sonst hätte er einen Boten geschickt, der ihn ankündigen sollte.“

„Ich werde alle Leute meines Hauses zum Empfang zusammenrufen.“, meinte Elrond.

Elrond sah Fanrin zum ersten Mal seit fast einem Jahrhundert wieder, als der Elbenfürst die Brücke über den das Tal durchströmenden Fluss überquerte und zum Heimischen Haus hinaufritt. Sein Gefolge war fast schon königlich, es erinnerte geradezu an einen Heereszug, denn von seinen Begleitern trugen fast alle glänzende Rüstungen, auf denen die Wappen der verschiedenen Häuser prangten.

Elrond hatte Fanrin zum ersten Mal in Lindon getroffen, am Hofe Gil- Galads. Da war der junge Fürst, der lange bei Feanors Söhnen gelebt hatte, noch fast ein zarter und schüchterner Junge, bis er dann nach Eregion zog und heiratete. Elrond sah Fanrin erst im Großen Krieg wieder, als die Katastrophe in Form von Saurons unzähligen Orks über die Elben von Eregion hereinbrach und viele Elben versuchten nach Norden zu entkommen. Fanrin war einer der Flüchtlinge, er führte seine Frau und seine zwei Töchter mit. Seine jüngste Tochter war getötet worden und Elrond, dessen Heer die Flüchtlinge gerade noch retten konnte, traf einen verstörten Familienvater an. Aber das dauerte nicht lange, Fanrin stieß zu den Verteidigern von Imladris und erwies sich als zäher Kämpfer. Bald begann Elrond ihm Großes zuzutrauen. Irgendwann aber verschwand Fanrin geradezu in den Norden.

Der Elbenfürst, der da seinen von Zwergen geschmiedeten Helm abnahm, erinnerte Elrond stark an den Hauptmann, der verbissen einen der Zugänge zum Tal immer wieder gegen eine Übermacht von Orks verteidigt hatte. Rabenschwarzes Haar hatte er, wie es bei den Noldor der alten Geschlechter üblich war. Er machte einen charismatischen Eindruck, nicht zuletzt wegen der Narbe, die sich quer über seine rechte Gesichtshälfte zog. Dieser Schwerhieb eines Orks hätte ihn fast getötet, wenn Elrond ihn damals nicht geheilt hätte. Fanrin stieg von seinem Pferd ab, trat vor und kniete vor Gil- Galad nieder, der ihm zur Begrüßung entgegengekommen war.

„Steh auf, Fanrin!“, entgegnete Gil- Galad. Er hatte es noch nie gemocht, wenn Leute um des reinen Zeremoniells willen vor ihm niederknieten. „Komm mit uns ins Heimische Haus Elronds, bald werden die Diener das Mittagessen vorbereitet haben.“

„Danke, Herr!“, sagte Fanrin.

Elrond sah sich das genau an. Er hatte zu lange an den verschiedenen Höfen der Elben gelebt, um nicht zu erkennen, dass das keine vom Herzen kommende Untertänigkeit war. Fanrin war ganz offensichtlich mit einem festen Anliegen zu Gil- Galad gekommen. Elrond sah sich dessen Gefolgschaft näher an. Es war eine auserlesene Gruppe von Adeligen aus Nilmaron, unter ihnen sah er Gaelnir, der einst zum Gefolge der Fürstin Galadriel gehört hatte und sich dann gegen sie entschieden hatte, Marnal, ein Sinda, der in Eregion gelebt hatte und mit Gil- Galad am Lhûn gekämpft hatte, Pilnó, ein kultivierter Bücherwurm, der einst in Mithlond gelebt hatte, und dann Nírcon, Fanrirs Vetter, der in Gondolin geboren worden war und den Elrond aus den gemeinsamen Kämpfen gegen Sauron gut kannte.

Er begleitete als Hausherr, der allerdings nur in zweiter Reihe hinter Gil- Galad stehen durfte, die Besucher ins Innere. Dort kam seine Frau Célebridal und begrüßte die Gäste. Fanrin legte eine feine Höflichkeit an den Tag. Er wollte nicht gleich zur Sache kommen, er hatte es entweder nicht eilig oder er meinte, dass so etwas seinem Anliegen schaden würde. Stattdessen sprach er Elrond zuerst auf Dinge wie die Gestaltung seines Hauses an, das bei seinem ersten Aufenthalt nichts weiter als eine schnell erbaute Holzbaracke gewesen war, wo sich verwundete Kämpfer den Platz mit Vorräten und den Waffenkammern teilen mussten. Inzwischen hatte Elrond aus der Baracke eine gemütliche Art von Palast gemacht, wo man sich zu jeder Zeit vorstellen konnte, dass die Welt in Ruhe wäre. Elrond erteilte Fanrin bereitwillig Auskunft, wenn der höflich nach der Herkunft dieser Statue oder nach den Gärten fragte. Er wusste, dass den Fürsten diese Dinge im Grunde gar nichts bedeuteten. Elrond war nie in Nilmaron, Fanrirs Stadt, gewesen, er hatte nur gehört, dort sei es im Vergleich zu Imladris und Lindon oft erbärmlich kalt und der Winter dauere viel zu lange, doch Fanrin sollte die Stadt zumindest äußerlich annehmbar hergerichtet haben, auch wenn das Augenmerk des Fürsten sicher nicht auf der Gestaltung seiner Gärten lag.

Zum Begrüßungskommitee waren alle wichtigen Mitglieder von Elronds Haus gekommen und Gil- Galads Begleiter. Zu ihnen gehörte Erestor, Gil- Galads Vertrauter, Elronds Freund und Verwalter des Schriftverkehrs des Hochkönigs, von dem manche den Eindruck hatten, seine Welt bestünde aus Papieren und der zwischen Lindon und Imladris laufenden Briefkorrespondenz, Eingeweihte kannten ihn zwar in durchaus ähnlicher Weise, wussten aber, dass Erestor in der zweiten Reihe eine der mächtigsten Positionen einnahm. Egal wo er gerade war, in Lindon, Imladris oder sogar Lórien, überall sammelte er unermüdlich Kenntnisse über die sich verändernde Welt da draußen. Es gab keinen König oder auch nur Stammesführer der Menschen, der ihm nicht bekannt war. Erestors Schatz an Wissen über die Welt wurde von Elrond und Gil- Galad gerne benutzt. Am wichtigsten war, dass fast alle Kenntnisse, die sie über Fanrin und seine Vorhaben besaßen, von Erestor stammten, der Nilmaron schon mehrere Male besucht hatte. Deswegen hielt Elrond Erestor ständig in seiner Nähe, auch wenn es den Papierwühler nervte, sich über den Kunstgeschmack von Elronds Frau unterhalten zu müssen.

So ging das auch beim Essen weiter. In der großen Halle des Heimischen Hauses tischten die Köche Elronds auf, was sie eigentlich für die Festlichkeiten zu Ehren Gil- Galads geplant hatten, gleichzeitig spielten elbische Musikanten auf. Während Gil- Galad danach zuließ, dass sich die Gesellschaft zerstreute, fragte Fanrin Elrond, ob er sich einmal die Bibliothek des Heimischen Hauses ansehen dürfte.

Elrond nickte. „Ich werde sie dir zeigen, aber Erestor wird dir dazu am meisten erzählen können. Er hat diese Bibliothek zum größten Teil mit aufgebaut und kennt jedes einzelne Buch, das jemals von einem Elben geschrieben wurde.“

Erestor nickte bescheiden. „Dort kümmert sich gerade Norestir um meine Korrespondenz, ich muss da mal nachsehen. Aber ich weiche nur ungern von der Seite meines Königs.“

Gil- Galad wandte sich um. „Dort liegen noch Schreiben, die ich beantworten muss. Ich komme selbstverständlich mit dir, Fanrin.“

Fanrin verneigte sich höflich. „Darf ich meinen Schreiber Pilnó mitnehmen. Er interessiert sich noch mehr für Bücher als ich. Es war sein größter Traum, sich noch einmal die Bibliothek von Imladris ansehen zu dürfen.“

„Sicher, meine Bücher stehen jedem guten Elben offen.“, sagte Elrond.

Zusammen mit Erestor, der als Beobachter dabei sein sollte, und Pilnó, dessen einzige ihm von Fanrin zugeteilte Aufgabe es war, so zu tun, als ob es um Bücher ginge, gingen sie an salutierenden Wachen in den Rüstungen der Hohen Noldor in die Bücherei, wo hohe, kunstvolle Regale sich an Gewölbe des Hauses empor streckten. Dort waren Schreibtische, wo Schreiber Bücher, Briefe und Protokolle schrieben und kopierten. Heute war dort aber nur Norestir, der sich in einer Ecke gewissenhaft um die Korrespondenz kümmerte und nur kurz aufsah, als sie eintraten. Die Bücherei hatte Fenster zu den Gärten hin. Dort zog Nebel auf, aber durch die Zauber des Hauses war noch kein Buch angeschimmelt.

„Ich suche schon seit langer Zeit ein Exemplar der „Geschichten von Valinor“ und Bänder über die hohe Heilkunst.“, sagte Fanrin beiläufig.

„Ich kann Pilnó diese Bücher zeigen.“, sagte Erestor und führte den Schreiber zu einem Regal, während der König, Elrond und der Fürst weitergingen.

„Wieso bist du gekommen, Fanrin?“, fragte Gil- Galad.

„Ich wollte mit Euch über die Lage im Süden in Eregion reden.“, sagte Fanrin und blickte zum Fenster hinaus. „Schon seit langem beobachte ich das von Sauron in Trümmer gelegte Land, wo wir einst unsere Städte hatten. Dort breiten sich Menschen von Stämmen aus, die Saurons Plänen zumindest nicht abgeneigt sind. Sie wollen Besitz ergreifen von unseren heiligen Stätten und in den Bergen breiten sich Orks aus. König Tar- Telemmaite von Númenor scheint sein Auge auf Eregion geworfen zu haben. Seine Diener suchen ganz Mittelerde nach Mithril und allem ab, was wie Silber aussieht. Ich habe Gesandte und auch Spione in die Häfen der Númenorer geschickt. Tar- Telemmaites Leute vermuten, dass es das wertvolle Mithril am wahrscheinlichsten in Eregion gibt, das Khazad- Dûm am nächsten liegt. Die frevelhaften Númenorer wollen Eregion in Besitz nehmen.“

„Das ist besorgniserregend“, sagte Gil- Galad. „Die Númenorer waren einst verlässliche Bündnispartner, aber seit den Tagen von Tar- Atanamir dem Großen wollen sie nur noch ihren eigenen Nutzen, sie wollen möglichst viel Land und Reichtümer von den schwächeren Völkern in Mittelerde erwerben. Eru sei Dank, dass unsere Ländereien bei ihnen bisher noch keine Begierden ausgelöst haben.“

Fanrin schüttelte den Kopf, diese Dinge schienen ihn wütend zu machen. „Das tun sie schon, mein König. Ihre Kriegsschiffe segeln die großen Flüsse hinauf, sie haben schon lange den Mitheitel erreicht. Sicher haben sie schon ein Auge auf Lindon geworfen. Die Häfen am Lhûn kennen sie ja gut und sie wissen, dass in Forlond, Harlond und Mithlond viele Schätze aus alter Zeit lagern, sie wissen von den Schätzen der Blauen Berge, auf die sie bisher noch nicht zugreifen dürfen, weil dort Eure Wachen stehen.“

„Von solchen Begierden habe ich noch nicht bemerkt.“, meinte Gil- Galad trocken.

„Noch wollen sie auch keinen Krieg mit den Elben Eriadors anfangen. Zumindest noch nicht in Lindon, wo Ihr stark seid. Aber sie wollen sich die nächsten Ländereien nehmen und die Gebiete, aus denen uns Sauron vertrieben hat. Eregion wollen sie sich ganz sicher als nächstes holen. Sie haben Boten zu den Menschen dort geschickt mit der Aufforderung zu guten Beziehungen, was eigentlich Unterwerfung bedeutet. Bald werden sie dort sicher eine Festung bauen und das Land entweihen. Dann haben sie einen Stützpunkt mitten in Eriador, von dem aus sie gegen jede Elbensiedlung vorgehen können.“

„Vielleicht.“, sagte Gil- Galad. „Aber was willst du dagegen machen?“

Fanrin schien mit einem Mal in eine begeisterte Vorfreude zu verfallen. „Ich werde dieses Land wieder in Besitz nehmen, Herr!“, rief er so enthusiastisch, dass sich Norestir, Pilnó und Erestor umdrehten. „In Eurem Namen will ich den Mitheitel hinunterziehen und das Banner der Noldor wieder in die Erde von Eregion stecken. Die alten Städte will ich wieder aufbauen, die uns Sauron genommen hat. Dann werden die Vertriebenen wieder zurückkehren und Eregion wird wieder den Elben gehören und nicht den Menschen gleich welcher Art und Sauron wird sehen, dass alle seine Bestrebungen umsonst waren.“

Elrond runzelte die Stirn. Gil- Galad wandte sich zum Fenster, gleichzeitig kam Erestor wieder hinzu, Pilnó blieb bei den Büchern. Gil- Galad wandte sich dann wieder an Fanrin. „Wie viele Elben wollen dir dazu folgen?“, fragte er.

„Alle Elben von Nilmaron werden mir nach Eregion folgen.“, sagte Fanrin. „Schon seit Jahren plane ich diesen Feldzug. Mindestens zwölftausend Krieger werde ich haben. Meine Freunde aus Lindon werden mir helfen.“

„Du willst allein die alten Städte wieder aufbauen?“, fragte Gil- Galad.

„Das wird Jahre dauern.“, sagte Elrond. „Du wirst alle möglichen Handwerker brauchen, du wirst Vorräte brauchen, außerdem wirst du dich gegen Feinde verteidigen müssen. Das alles kannst du nicht von Nilmaron aus bewerkstelligen.“

Fanrin schüttelte den Kopf. „Dazu ist meine eigene Herrschaft zu klein, auch wenn ich diese Unternehmung schon lange geplant habe. Ich werde die Unterstützung eines Königs brauchen, um Eregion zurückzuerobern, bevor es die Númenorer nehmen.“

„Deswegen bist du gekommen.“, sagte Gil- Galad.

„Ich bezweifle, dass das der beste Zeitpunkt dazu ist.“, meinte Elrond.

„Wieso?“, fragte Fanrin überrascht.

„Ihr müsstet gegen zwei Feinde kämpfen, vielleicht gegen noch mehr.“, meldete sich Erestor zu Wort. „Aus Dunland und der Enedwaith sowie aus Minhiriath sind Stämme den Gwathló hinaufgezogen, die sich vor den Númenorern fürchten. Sauron hatte während des Krieges gute Beziehungen zu ihnen und nichts spricht dagegen, dass er auch jetzt noch Leute zu ihnen entsenden würde, damit sie seine Interessen vertreten. Und Sauron würde niemals wollen, dass die Elben Eregion wieder in Besitz nehmen. Letztendlich ist es ihm egal, wo wir sind, er will nur die Elben schwächen und liebend gerne würde er uns in Eregion in einen langen und verlustreichen Krieg verwickeln.

Des weiteren haben natürlich die Númenorer ihr Auge auf Eregion geworfen, wie ihr sagtet. Natürlich gibt es in Eregion kein Mithril, aber das wird Tar- Telemmaite nicht davon abhalten dort danach suchen zu lassen. Tar- Atanamir hat Tharbad númenorisch gemacht und weiter nördlich die Festung Air- Eremêz erbaut, wo seitdem starke Truppen stationiert sind. Zurzeit dehnen die Númenorer ihre Herrschaft in Minhiriath aus und haben schon einige Städte im Landesinneren gegründet, aber bald werden sie sich stärker um Eregion kümmern. Wenn wir uns nicht einmischen, wird es so kommen, dass die Númenorer ein Heer nach Eregion entsenden und mit den Stämmen kämpfen, vielleicht auch mit den Zwergen. Gewinnen können die Stämme gegen die Númenorer nicht, aber die Númenorer werden auch kein Silber finden, sondern nur die Ruinen unserer alten Städte. Dann werden sie wieder abziehen und Eregion wird wieder Wildnis bleiben.

Wenn Ihr aber mit einem Elbenheer Eregion wieder in Besitz nehmt, wird dies eine Reihe von unguten Möglichkeiten eröffnen. Die Stämme, die jetzt dort siedeln, mögen keine Elben, sie werden sich zu wehren versuchen. Von den Númenorern haben wir uns entfremdet, sie werden zumindest auf indirektem Wege versuchen Euch da wieder hinauszuwerfen. Sauron wird von Eurem Unternehmen erfahren und einen Krieg über Mittelsmänner gegen Euch in die Wege leiten. Im schlimmsten Fall werdet Ihr gleichzeitig gegen Sauron, Tar- Telemmaite und die Stämme kämpfen müssen.“

Fanrin hatte schweigend den Ausführungen Erestors zugehört, nun senkte er den Kopf zum Boden. „Es kann dennoch nicht sein, dass Menschen das alte Elbenreich Eregion als ihre Herrschaft ansehen, dass die Diener Tar- Telemmaites die Erde nach Mithril durchwühlen und dass dort schmutzige Hirten auf den Ruinen unserer Heiligtümer siedeln.“

„Das beschämt auch mich.“, sagte Gil- Galad. „Aber die Zeiten ändern sich. Ich glaube nicht, dass die Elben heute noch imstande sind sich als unumschränkte Herren Mittelerdes zu behaupten. Denn was gewinnen wir mit Eregion außer neuer Angriffsfläche für unsere Feinde.“

„Die Erben von Feanor, Fingolfin und Finarfin dürfen sich doch nicht hinter dem Lhûn und in den Bergen von Rhudaur verkriechen.“, empörte sich Fanrin. „Ich ziehe nach Eregion und nehme das Land in Besitz, das uns Sauron verwüstet hat. Ich will nur deinen Segen, Hoher König Ereinion Gil- Galad, Sohn Fingons, in dessen Reich ich geboren wurde. Ich erinnere mich an ihn als an einen Herrscher, der nie zurückgewichen ist und sein Land nie Morgoth überlassen wollte.“

Damit war Fanrin im Grunde schon zur offenen Provokation übergegangen und alle Augen richteten sich auf Gil- Galad, aber der blieb ganz kühl.

„Wenn dein Herz dich nach Eregion zieht, dann geh dorthin und nimm alle Elben mit, die an diesem Land hängen.“, sagte er. „Das Land zwischen Nebelgebirge und dem Gwathló war nie mein Reich und die Elben, die dort herrschten, gehorchten mir nicht, obwohl sie Noldor waren. Das Verderben Eregions lastet nicht auf meinen Schultern, mein Reich lag immer am Meer, denn ich hatte nie etwas im Landesinneren zu suchen außer Streit mit anderen Mächten. Geh, wenn Eregion ein Teil deiner Seele geworden ist. Wenn du eines Tages in schwerster Bedrängnis sein wirst, werden wir dich nach Möglichkeit unterstützen. Aber für dieses Unternehmen an sich werde ich keine meiner Krieger entsenden. Nun geh!“

Es dauerte eine Weile, bis diese Worte ihre Wirkung auf Fanrin entfaltet hatten, dann senkte er tief seinen Kopf zu einer Verbeugung und wandte sich zur Tür.

„Komm, Pilnó, wir haben zu tun!“, rief er. „Nun reiten wir nach Nilmaron zurück.“

Der Aufbruch erfolgte nach nur drei Stunden in Imladris, dann ritten die Elben aus dem Norden wieder aus dem Tal und die Wächter auf den Bergkuppen konnten sie sehen, wie sie durch das Bruinental ritten und dann in Richtung Mitheitel hin entschwanden. Fanrins Begleiter waren davon genauso überrascht wie Elronds Haushalt, aber niemand wagte nach dem Grund zu fragen.

Am Abend stand Elrond zusammen mit Gil- Galad auf dem Söller und schaute in die Ferne. Wie es seine Angewohnheit war, war Elrond ganz ruhig, aber unwillkürlich zogen all seine Erinnerungen an Eregion durch seinen Kopf. Er war dort einige Male gewesen, hatte das stolze Ost- in- Edhil gesehen mit seinen lieblichen Gassen und hohen Türmen und prachtvollen Palästen. Er hatte die bestellten Felder gesehen und das schimmernde Blau des Sirannon und die hoch hinaufragenden Hänge des Nebelgebirges. Aber all diese schönen Erinnerungen waren überlagert von den Bildern aus dem schrecklichen Krieg, in dem er als Neffe des Königs zum ersten Mal in seinem Leben ein Heer führte. Im wilden Norden von Eregion traf er damals auf die ersten Orktruppen Saurons, vereinigte sich mit der Streitmacht von Celeborn, aber konnte trotz vieler gewonnener Gefechte nur den Rückzug nach Norden antreten. Er sammelte von den versprengten Flüchtlingen auf, soviel er konnte, dann zog er sich zurück und verschanzte sich im Tal von Imladris. In ihm blieben vor allem die Gefühle von Ekel über all das vergossene Elbenblut und das viele Leid zurück, aber auch die Erkenntnis, dass sich die Elben wahrscheinlich nie ewig würden behaupten können.

„Es wird der Tod seiner Tochter sein, den er nie verwunden hat.“, meinte er.

„Und gekränkter Stolz.“, meinte Gil- Galad.

„Er wird schon bald mit seiner Unternehmung beginnen, aber viele Mittel werden ihm nicht zur Verfügung stehen.“

„Ich setze nicht zu viele Erwartungen darauf.“, sagte Gil- Galad. „Wir werden helfen, wenn nötig. Aber nur soweit, dass wir die Schmerzen seines Sturzes, der unausweichlich sein wird, ein wenig mildern und die Zahl der Opfer verringern.“

„Ich werde ein Auge auf Eregion haben.“, sagte Elrond.

„Und ich kehre dann bald nach Lindon zurück. Von den Rändern Eriadors kann man sehr bequem das Geschehen beobachten, ohne dass man zwangsläufig mit hineingezogen wird. Fanrin scheint das nie begriffen zu haben oder sein Verstand ist in dieser Sache seinem Stolz und seiner Trauer unterlegen.“

Es wurde dunkle Nacht und über Imladris zogen diesmal schwere Regenwolken auf.

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Fanrin kehrte aus Imladris nach Nilmaron zurück. In seiner Stadt, die auf den windigen Wiesen des Nordens zwischen Wäldern, Sümpfen und kalten Bergen lag, hatte er schon lange Vorbereitungen für das getroffen, was nun anlief. Auf dem Ritt nach Norden entlang des Mitheitel hatte er über die Worte des Hochkönigs nachgedacht, aber die Zeiten waren vorbei, wo er bei so einer Schelte zurückwich. Er hatte seinen Feldzug zu lange geplant, um jetzt noch einen Rückzieher zu machen. Seine Pläne Eregion betreffend waren ein zu fester Teil seines ganzen Strebens geworden. Davon abgesehen, daran dachte er auch, gab es sowieso keine Möglichkeit zum Rückzug mehr. Wie viele Elben hatten dieselbe Sehnsucht wie er, wie viele erwarteten von einer Rückgewinnung des alten Elbenreiches wieder eine schöne Zukunft, die ihres Volkes würdig war! Sindar und Noldor gleichermaßen standen zu seinem Banner und jeder hatte sich vorbereitet.

Am Tag vor dem Abmarsch sah er sich noch einmal in Nilmoran um. Die Türme der Noldorstadt waren in das matte Grau der Abenddämmerung gehüllt. Laternen beleuchteten die breiten Straßen und die Gassen zwischen den Palästen und einzelnen Wohnhäusern der Elben. Nilmaron war Fanrins Stadt, später würden sich vorbeikommende Elben noch an Fanrin erinnern, wenn sie Nilmaron sahen, aber diese Stadt war nie Teil von Fanrins Herz gewesen. Er wollte nie dauerhaft im kalten und windigen Norden bleiben, sein Herz hing ganz und gar an Eregion und Nilmaron war nie mehr als ein Mittel zur Durchführung seiner Pläne gewesen. Bald würde diese stolze Stadt, in der viele tausend Elben lebten- zehntausende, wenn man die herumliegenden Dörfer und Siedlungen dazuzählte- verlassen sein. Er hatte nicht vor, jemals wieder dorthin zurückzukehren. Bald würde in den Gassen wieder das Gras des Nordens wachsen und Tannen würden sich über die Türme erheben, ihn scherte das nicht. Er wollte nach Süden. Für eine gewisse Zeit, vielleicht nur für ein paar Wochen, würden hier noch die Handwerker und Bauern seines Volkes bleiben, während die Krieger am Mitheitel entlang nach Süden marschierten. Bis auf weiteres müsste er sich auf Nachschub und Verpflegung aus dem Norden verlassen, bis die neu gegründeten Siedlungen in Eregion auf einer festen Grundlage stehen würden.

Die Frauen und Kinder würden erst nach einiger Zeit nachkommen. Seine eigenen beiden Töchter wollte er nach Möglichkeit erst mit ihren Ehemännern nachholen, wenn das Land gesichert war. Die ältere war mit einem edlen Lórien- Elb verheiratet, der aber nach Eregion ziehen wollte und dafür von seinem König Amdir schon die Erlaubnis erhalten hatte. Die zweite war mit seinem Gefolgsmann Gaelnir verheiratet, der als der zweitmächtigste Elb in Nilmaron galt. Gaelnir war Fanrin ein überaus wertvoller Gefolgsmann, der sowohl fähig war, den Nachschub und die Verpflegung zu beschaffen als auch die Nachschubswege zu sichern. Er würde fürs erste außerhalb von Eregion bleiben und sich um Nilmaron kümmern.

Fanrin hingegen würde mit dem größten Teil seiner Krieger Eregion wieder in elbischen Besitz nehmen.

In den nächsten Tagen wurden die entlang des Mitheitel siedelnden Menschenstämme Zeugen eines denkwürdigen Ereignisses. Ein großes Heer von Elben mit hunderten wehenden Bannern und glänzenden Rüstungen und Waffen mit vielen Berittenen bewegte sich nach Süden. Der lange Heereswurm wand sich durch die Täler am Mitheitel und sein Feldherr hatte nicht die Absicht, seinen Vormarsch irgendwie geheim zu halten. Jeder sollte dieses Schauspiel erleben oder davon hören. Jeder sollte erfahren, dass da etwas geschah, dem man sich nicht entgegenstellen sollte. Es zeigte sich, dass der Vormarsch sehr gut geplant war, viele Male hatten Fanrins Späher diese Gegend nach dem am besten geeigneten Marschweg durchforstet. Kleine Wasserläufe behinderten die Krieger überhaupt nicht, sie schritten einfach durch. Ihre elbischen Gewänder wurden schnell wieder trocken und Rüstungen, die von den Noldor oder den Zwergen geschmiedet worden waren, rosteten nicht.

Die Berge von Rhudaur verschwanden bald aus dem Blickfeld der Marschierenden, auch wenn die von Elrond ausgesandten Späher den Heerwurm noch lange beobachten konnten. Sie erreichten das Flachland am Gwalthló, wo sie um Sümpfe und Seen herummarschierten, die später nicht mehr sein würden. Dort lebten seit einiger Zeit Menschen, die aus dem Süden herangewandert waren. Sie waren anders als die Ureinwohner im Osten Eriadors, sie hatten lange an den Küsten des Meeres gelebt und dort von Númenorern und Elben viele Fertigkeiten erlernt, die sie von den anderen Menschenvölkern abhoben. Die größer werdende Herrschsucht der Menschen vom Meer hatte sie ins Landesinnere vertrieben.

Diese Menschen siedelten unter anderem an der Entenfurt, wo man am besten über den Gwalthló führen. Dort, wo die Bäume schon ausschlugen, hallten plötzlich die Trompeten und Hörner der Elben über die Ebenen. Fanrin hatte die Ankunft seiner Truppen den Menschen ankündigen wollen. Was für die Fischer und Getreidebauern dort zu hören war, klang kalt und bedrohlich. Die Kinder erschraken und rannten zu den Hütten und die Älteren beobachteten ängstlich, wie die Elben die Furt überquerten. Aber ein Teil der Elbenkrieger blieb an der Furt, wie es Fanrin geplant hatte. Marnal, ein echter Haudegen unter den Elbenkriegern, der einst selbst in Eregion als Sinda gelebt hatte, sollte dort ein Lager errichten und für Fanrins Unternehmung den Nachschub sicherstellen. Marnal hatte aber nicht die Absicht, sich irgendwie mit den Menschen dort zu verständigen, die für ihn Störenfriede und Landbesetzer darstellten.

Die Menschen von einem Volk oder Stammesverband, nach dem sie Dargas genannt wurden, hatten schon vor vor einigen Jahren Dörfer und größere Siedlungen an den Hängen der Hügel gegründet. Teils hatten sie dazu auch die noch stehenden Gemäuer von mancher Elbenstadt genutzt. Sie lebten vom Ackerbau und trieben Schafe und Rinder über die Fluren, deren Zucht sie durch die Númenorer verbessert hatten. Ihr größter Teil lebte im einstigen Elbenland Eregion, für das sie den Namen Dargazûn verwendeten, aber viele andere lebten am Westufer des Gwathló und südlich des Sirannon, auf dem sie mit Booten Fischfang betrieben. Sie alle freuten sich, dass die Bäume wieder grün wurden und Blumen die Wiesen bedeckten. Die großen Gletscher im nahen Nebelgebirge schmolzen wieder und gaben unglaubliche Mengen Wasser frei, die in ihr Siedlungsgebiet flossen.

Aber nach vielen hoffnungsvollen Jahren in dieser Gegend hatten die Ältesten der Dargas wieder eine ernsthafte Sorge, denn auf einmal wurden auf vielen Hügeln Feuer angezündet und es verbreitete sich die Nachricht, dass ein Feind nahte. Fanrin, der keine Boten zu den Menschen schicken wollte, marschierte mit fünftausend Mann seines Gefolges durch das Land. Die Menschen, die kaum Waffen aus Eisen besaßen oder auf Pferden ritten, flohen, als am Horizont Reiter in schweren Rüstungen mit langen Lanzen erschienen. Drei Siedlungen lagen in unmittelbarer Nähe der Marschroute. Fanrin schickte immer einen Trupp von hundert Reitern voraus, der eigentlich nur nach möglichen Gefahren Ausschau halten sollte. Nun erweckte gerade das rasche Nahen dieser Reiter die Angst der Menschen. Die Bauern flohen aus den ersten zwei Siedlungen und steckten in der zweiten sogar einige Hütten selbst in Brand, um ihre Stammesverwandten zu warnen.

Bei der dritten Siedlung kam es zu einem unangenehmen Zwischenfall. Die Wolken hingen tief und die Menschen hatten die Rauchsignale nicht sehen können. Dann erschienen die ersten Reiter bewaffnet auf der nächsten Hügelkuppe. Panik breitete sich aus in der Siedlung, denn die Älteren hatten es noch erlebt, wie númenorische Reiter in schwerer Rüstung über die Dörfer am Meer herfielen, die ihrem König die hohen Tribute verweigert hatten. Dasselbe schien sich zu wiederholen, als sich die Späher unachtsam näherten. Auf den Feldern vor der Siedlung stellten sich den ersten zehn Reitern überraschend zwanzig Menschen mit Äxten und Speeren entgegen, die die Flucht der anderen sichern wollten. Die Elben hatten mit so etwas nicht gerechnet, erst recht nicht damit, dass sie auf einen derart harten Widerstand stoßen würden. Ein Speer tötete den Hauptmann der Reiter, die dann angriffen, fünf Menschen töteten und selbst fünf Kameraden verloren, woraufhin sich dann der Rest zurückzog, um Verstärkung zu holen. Und dann fielen ganze fünfundneunzig Reiter über das Dorf her und ließen ihrem Hunger nach Rache freien Lauf. Die Hütten wurden niedergebrannt, es kam zu einem zweiten erbitterten Kampf mit den Menschen und einige Reiter verfolgten auch die Fliehenden. Auch Frauen und Kinder sollen an diesem Tag getötet worden sein, wie es später hieß. Die Reiter selbst hatten weitere zehn Männer verloren.

Die Meldung von diesem Zwischenfall erreichte Fanrin in seinem Lager, das er nach vier Marschtagen eine Strecke nordwestlich des alten Ost- in- Edhil aufgeschlagen hatte. Der Ort war einst von Elben besiedelt gewesen, er selbst hatte lange in einem schönen Haus auf diesem Hügel gewohnt, wenn er raus wollte aus der unruhigen Stadt der Ringschmiede. Doch nun war das Haus weg, die Orks hatten es einst sauber niedergebrannt, nur die Grundmauern waren noch zu sehen. Er hatte zu den Valar gebetet bei seiner Ankunft, dass sie seine Unternehmung beschützten und er hatte für die Seele seiner Tochter gebetet. Die Nachricht erreichte ihn aber erst am Morgen des vierten Tages, nachdem er die Nacht hindurch die Aufstellung des Lagers und die Pläne für die nächsten Tage besprochen hatte.

Der zweite Bannerträger des Reiterverbandes erstattete ihm Bericht, als er sich gerade um den Nachschub gekümmert hatte. Fanrin saß auf seinem in einem Wagen mitgebrachten prächtigen Fürstenstuhl, hinter ihm die Banner seines Heeres, als er zuhörte. Der Hauptmann des Verbandes hatte ihm zwar nur aufgetragen zu melden, dass bei einem Überfall von Stammeskriegern sechzehn Reiter gefallen waren, aber der Bannerträger hatte den Zwischenfall in erster Reihe miterlebt und schilderte den ganzen Ablauf.

„Meiner Ansicht nach war das ein großes Unglück, das keiner gewollt hat.“, schloss der Bannerträger seine Meldung.

Fanrin, der die Rüstung die ganze Nacht hindurch nicht abgelegt hatte, blickte Gedankenversunken zu Boden. Seine Hauptleute, unter ihnen sein Vetter Nircón, waren mit im Raum und erwarteten einen Befehl.

„Wenn das ein Versehen war“, meinte Parastir, ein blonder Grauelb, „dann sollten wir einen Boten zu ihren Häuptlingen schicken und uns entschuldigen.“

„Sie werden Blutgeld verlangen.“, warf Nircón abwehrend ein.

„Das sollten wir besser bezahlen, bevor die Menschen unsere Unternehmung bekämpfen.“, erwiderte Parastir.

Fanrir winkte ab und Parastir, der noch etwas sagen wollte, verstummte. „Wir werden keinen Boten zu den Menschen schicken. Ich bin nicht gekommen, um Eregion mit den Menschen zu teilen.“

„Herr, aber das bedeutet Krieg.“, rief Parastir.

„Ich bin ja auch mit Bewaffneten nach Eregion zu kommen.“, entgegnete Fanrir und stand auf. Er blickte scharf in die Runde. „Wir sind hierher gekommen, um das Elbenreich von Eregion wiederauferstehen zu lassen, ich habe nie gesagt, dass wir uns die Herrschaft auf unserem geweihten Boden mit den schmutzigen Stämmen teilen werden.“ Er ging um seinen Stuhl herum und sah sich die farbenprächtigen Banner der Elben mit ihren Wappen an, die dahinter aufgehängt waren. Er schien sich in Gedanken an eine längst vergangene Zeit zu befinden, vielleicht an die Banner von Feanors Söhnen.

„Was sollen wir tun, Herr?“, fragte Nircón.

Fanrir wandte sich von den Bannern ab. „Ich bin natürlich nicht gekommen, um die Menschen auszurotten, mein lieber Parastir.“, sagte er zu dem Grauelben gewandt. „Aber ich will sie nicht als Gleichgestellter behandeln, sondern ich bin von nun an der Herr von Eregion. Die Stämme dürfen natürlich ihre Siedlungsgebiete behalten und unter unserem Schutz weiterleben. Aber die Ausnahme gilt, dass sie sich von den Gebieten, wo früher die Städte der Elben standen, fernzuhalten haben. Ich will keine Schafe unter den prächtigen Torbögen von Ost- in- Edhil.“

„Ich werde heute noch als Bote zu ihren Häuptlingen aufbrechen und ihnen deine Worte vorbringen.“, sagte Parastir und verneigte sich. „Ihre größte Siedlung liegt südlich von hier am Sirannon. Ich werde mich auf den Weg machen.“

„Aber nimm eine Schar Reiter mit.“, ergänzte Fanrir. „Sie sollen nicht meinen, dass du kommst, um zu betteln.“

Und bald ritt Parastir mit hundertfünfzig Reitern mit wehenden Fahnen und aufgestellten Speeren nach Süden durch die Hügel, die zum Tal des Sirannon hin abfielen. Die Dargas hatten dort ihre größte Siedlung. Knapp eintausend Menschen lebten dort, die Gegend war sehr dicht von den Menschen besiedelt, denn der Boden war fruchtbar, es gab viele sonnige Hänge und durch den Fluss immer genug Wasser. Die Elben hatten dort einst Wein und Obst angebaut.

Beim Nahen der Reiter rannten einige Bauern schnell weg, aber Parastir war klug genug, nicht ein zweites unbeabsichtigtes Gemetzel herbeizuführen. Als er sah, wie sich vor der Palisade der großen Siedlung ein großer Haufen Männer sammelte, von denen die meisten irgendwelche Waffen trugen, trennte er sich mit fünf Männern, darunter dem Träger von Fanrins großem Banner, von seinen Truppen und ritt in die Siedlung. Die Menschen verstanden das sofort und machten den Weg in die Siedlung frei, wo Parastir auf einem großen Platz einem Dutzend hochstehender Alter begegnete, die im Aushandeln von Verträgen wichtiger als die Häuptlinge waren, die bei den Dargas für das Kriege führen da waren.

Parastir verhandelte fünf Stunden lang mit den Alten, die natürlich nicht einsehen mochten, dass sie das Land plötzlich teilen sollten. Aber Parastir war ein geschickter Unterhändler, der auf manchen Reisen viele Sprachen der Menschen gelernt hatte. Mit den Stammesältesten verhandelte er in der Sprache, die an der Küste zwischen den Númenorern und den Ureinwohnern gesprochen wurde. Er machte ihnen eine Unterordnung schmackhaft, indem er ihnen einen ewigen Frieden und viel Wohlstand anbot, wenn man erst die alten Städte wieder aufgebaut und den Handel mit den Zwergen wiederbelebt hätte. Natürlich sagte er kein Wort von Abgaben oder Tributen. Als er aber sagte, dass die Elben die Gebiete mit den Ruinen allein für sich wollten, schüttelten die Alten den Kopf. Parastir, der die Verhandlung auf keinen Fall scheitern lassen wollte, bot ihnen an, darüber später noch eine Abmachung zu treffen, nach der die Stämme entschädigt werden sollten. Da nickten die Stammesältesten und sieben von zwölf stimmten zu, sich dem Elbenherrn Fanrin, dem neuen Herrscher zwischen Sirannon und Gwathló unterzuordnen. Aber sie sagten, dass weiter verhandelt werden müsste, auch wegen dem niedergebrannten Dorf.

Parastir ritt in der Nacht zurück zum Lager seines Herrn Fanrir, im festen Glauben, den Wünschen seines Herrn entsprochen zu haben. Er war ihnen dem Wortlaut nach tatsächlich nachgekommen, aber, wie er später feststellen musste, nicht ganz der Absicht nach. Parastir musste feststellen, dass es sein Herr als Selbstverständlichkeit auffasste, dass die Menschen die Ruinen räumten. Und seiner Meinung nach sollte das den Menschen verbotene Gebiet mindestens ein Viertel des südlichen Eregions umfassen, alle Orte, wo die Elben einst gesiedelt hatten.

„Das wird zu einem Krieg führen!“, rief Parastir nach einem langen Gespräch am Rande der Verzweiflung, denn das letzte, was er wollte, war ein Krieg gegen die Menschen.

„Die Menschen haben sich dieses Land widerrechtlich angeeignet.“, rief Fanrin entgegen.

„Wenn wir jetzt einen Krieg führen, verwirken wie jede Aussicht, dieses Land in Ruhe wieder aufzubauen. Lass uns wenigstens weiter verhandeln.“, beschwor ihn Parastir.

Fanrin, der hochrot geworden war, setzte sich wieder hin und seine Vernunft schien sich wieder einzusetzen. Er nickte. „Bis auf weiteres werde ich mich um die Errichtung unserer Lager erinnern.“

Parastir verbeugte sich tief.

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