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Einfluß der englischen Romantik auf Tolkien


Orald

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Da in dem Thema über "Spiel mir das Lied vom Tod" eine kleine Nebendiskussion entstanden ist, stelle ich die Frage hier in einem eigenen Thread: In wie weit liegt die literaturgeschichtliche Entwicklung der englischen Romantik auch Tolkiens Schaffen zu Grunde?

Ich persönlich bin der Ansicht, dass es da große Gemeinsamkeiten gibt, ob Tolkien dies bewusst war, würde ich aber eher bezweifeln. Ich habe sogar den Eindruck, dass er sich gegen eine solche Annahme wehren würde, da er den meisten Romantikern vor allem in Bezug auf seine Religiösität vermutlich ablehnend gegenüber stand. Nichtsdestotrotz ist es ja nicht selten, dass Einflüsse unbewusst prägen. Ist dies bei Tolkien der Fall? Wenn ja, wo kann man das am deutlichsten sehen?

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Gast Dunderklumpen

Dass viele Ideen Tolkiens in der Romantik wurzeln, war mir schon viele Jahre klar, aber es muss natürlich konkret überprüft werden.

Da gibt es in der Regel zwei Wege:

- Entweder man weist nach, dass Tolkien sich mit bestimmten Ideen der Romantik auseinander gesetzt hat

- oder man zeigt auf, dass ähnliche Gedanken oder Strukturen vorhanden sind.

Der zweite Weg setzt ersteren nicht unbedingt voraus.

Für mich waren es stets folgende Dinge, die den Zusammenhang zwischen Romantik und Tolkien herstellten:

a. Der Fragmentcharakter

Die deutschen Romantiker sahen im Fragment eine Art Spiegelsplitter der unendlichen Wirklichkeit - in den Fragmenten breche sich diese unendliche Wirklichkeit.

Dass auch Tolkien das ähnlich sah, lässt sich vielfach in seinen Werken aufzeigen.

b. Der Gedanke des Mythos

Schlegel forderte eine Erneuerung der Mythologie, Tolkien machte sich an die Umsetzung.

c. Was Du, Orald, im anderen Thread geschrieben hast - dass die Geschichten ineinandergeschachtelt sind und es so Sekundärwelten und Tertiärwelten und Quarärwelten etc. gibt, ist - zumindest in der deutschen - Romantik ebenfalls so ->

In "Heinrich von Ofterdingen" (Novalis) sieht Heinrich in einem Buch, das ihm ein weiser Mann zeigt, sich selbst, wie er gerade in diesem Buch liest.

Michael Ende hat das in seiner "Unendlichen Geschichte" aufgegriffen, aber er hat sich dabei - vermutlich - auch auf Tolkien bezogen.

Das müsste allerdings noch genauer aufgezeigt werden, dass Tolkien diese Idee in seinem Werk enthält.

d. Der Gedanke der "verlorenen Geschichten" bzw. "des verlorenen Buches".

Nun zu Coleridge:

Ich habe gestern seine "Biographia Literaria" heruntergeladen. Sie ergibt bei "Word" 250 Seiten (in englischer Sprache). Das vermutlich entscheidende Kapitel XIII hat zwar nur 5 Seiten, aber die vielen Schelling-Zitate, auch seine Auseinandersetzung mit dem Dualismus erforden ein gründliches Studium, das mir so schnell nicht möglich ist.

Hinzufügen sollte ich noch, dass in Hither Shore 7 (veröffentlicht April 2011) Essays zu dem Thema "Tolkien und die Romantik" vereint sind.

Die Essays haben folgende Themen:


    • Stars Above a Dark Tor: Tolkien and Romanticism, Anna E. Slack (Cambridge)
    • Romanticism, Symbolism, and Onomastics in Tolkien’s Legendarium, Annie Birks (Angers)
    • Mittelerde als Ausdruck romantischer Kreativität und Sehnsucht, Oliver Bidlo (Essen)
    • ‘The past is another country‘ – Romanticism, Tolkien, and the Middle Ages, Thomas Honegger (Jena)
    • Disenchanted with their Age: Keats’s, Morris’s, and Tolkien’s Great Escape, Marie-Noëlle Biemer (Frankfurt)
    • Celtic Influences and the Quest of National Identity, Doreen Triebel (Jena)
    • J.R.R. Tolkien und die romantische Nostalgie, Julian T.M. Eilmann (Aachen)
    • ‘There and back again‘ – a Romantic Walk? Eine kritische Betrachtung von J.R.R. Tolkiens The Hobbit aus dem Blickwinkel der Romantik, Thomas Scholz (Frankfurt)
    • Outer and Inner Landscapes in Tolkien: Between Wordsworth, Coleridge, and Dostoevskij, Emanuele Rimoli (Roma), Guglielmo Spirito (Assisi)
    • ‘Secondary Belief‘: Tolkien and the Revision of Romantic Notion of Poetic Faith, Eduardo Segura (Granada)
    • Beauty, Perfection, Sublime Terror. Some Thoughts on the Influence of E. Burke‘s A Philosophical Enquiry into the Sublime and Beautiful on Tolkien‘s Creation of Middle-earth, Stefanie Schult (Greifswald)
    • Reading Tolkien‘s Work in the Light of Hugo‘s Notions of the Sublime and the Grotesque, Marguerite Mouton (Paris)
    • Tolkien, Newman und das Oxford Movement, Thomas Fornet-Ponse (Bonn)
    • Tolkien, the Philistine, and the Politics of Creativity, Martin G.E. Sternberg (Bonn)
    • Falsche Harmonie oder: Darf man nach Auschwitz noch vom Auenland träumen?, Fabian Geier (Bamberg)

Der von mir gefettete Titel wäre eventuell das Thema, das ich genre verfolgen würde von all den möglichen Themen:

die Theorie der Dichtkunst bezüglich "Imagination".

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Danke erst einmal für die nette Zusammenfassung sowie den Hinweis auf "Hither Shore" Ich meine, die genannte Ausgabe einmal in Händen gehalten zu haben, kann sie aber leider nicht mehr auffinden (ist wohl einem Umzug oder ähnlichem zum Opfer gefallen...)

Eine kleine Ergänzung nach meinem Dafürhalten: Gerade das Ästhetik-Ideal "Einheit in Vielheit" also das Ineinanderfallen von Gegensätzen scheint mir bei Tolkien ein immer wiederkehrendes Grundmuster.

Viel Spaß bei der "Biographia Literaria" ...

Ich habe mich vor vielen Jahren damit einmal auseinandergesetzt, wie es aber leider so ist, vergeht angelesenes Wissen schneller als einem Lieb ist. Vielleicht werde ich zur Rente einen Auffrischungskurs machen können. Ansonsten bin ich auch sehr auf deine Ergebnisse gespannt :-)

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Gast Dunderklumpen

Eine kleine Ergänzung nach meinem Dafürhalten: Gerade das Ästhetik-Ideal "Einheit in Vielheit" also das Ineinanderfallen von Gegensätzen scheint mir bei Tolkien ein immer wiederkehrendes Grundmuster.

Bei mir ist es vorläufig mehr Ahnung denn belegte Interprettation, dass das stimmen könnte, was Du sagst. Die wenigsten Tolkieninterpreten sehen das so, sondern verweisen auf den überall vorherrschenden Dualismus Tolkiens - gut/böse etc.

Wobei da auch noch Tolkiens theoretische ästhetische Äußerungen und sein konkretes ästhetisches Werk zu unterscheiden wären.

Ich fürchte allerdings, dass dieses Thema, wollte man es ausführen, erneut von diesem Thread abgespalten werden müsste.

Viel Spaß bei der "Biographia Literaria" ...

[...] Ansonsten bin ich auch sehr auf deine Ergebnisse gespannt :-)

Das wird vermutlich etwas dauern. Die zwei Kapitel - 13 und 14, wenn ich mich erinnere -, werde ich aber in den nächsten Wochen lesen.

Und nun noch einen Gedanken zum Threadthema:

Tolkien hat ungefähr Mitte Oktober 1914 eine unvollendete Erzählung zu der Kullervo-Figur aus der Kalevala geschrieben - die erste Prosaerzählung Tolkiens, von der wir wissen. Davor sind uns nur Gedichte und Bilder/Zeichnungen bekannt, die aufzeigen könnten, wie Tolkien langsam in die Rezeption der Romantik geriet.

Bis vor kurzem war uns diese früheste Erzählung Tolkiens nicht zugänglich; wissen von ihrer Existenz taten wir nur aus dem Brief Tolkiens an Edith von Oktober 1914 (Brief 7).

Dabei ist für mich im Kontext des Threads der Hinweis Tolkiens wichtig, dass er sich bei dieser Erzählung an den Romanzen von William Morris orientiere.

Und William Morris war wohl der erste moderne Erzähler, der alte Sagen aufgriff und neu verarbeitete: also Kunstsagen schrieb.

Auch das zwei Jahre später begonnene "The Book of Lost Tales" soll sich sehr an William Morris orientieren (ob das stimmt, weiß ich zur Zeit nicht).

Und aus der Kullervo-Geschichte von Tolkien entstanden dann später die Kunstsagen um Turin Turambar herum.

William Morris wäre dann vermutlich auch als eine Brücke zwischen der literarischen Romantik und Tolkien anzusehen: denn auch die Romantik hatte mittelalterliche Sagen aufgegriffen und neu gestaltet.

Das Mittelalter selber hatte das übrigens ebenfalls schon getan; auch diese Zeit hatte bereits Kunstsagen geschaffen und daraus neue Epen geformt.

Und der Witz ist: selbst Homer hat schon Kunstsagen geschaffen, ebenfalls die Edda: nirgens liegen da echte Volkssagen vor, sondern stets wurden - unter dem Aspekt der jeweiligen Weltanschauung - um diese Sagen herum ein epischer Kosmos gebaut.

Tolkien lässt seine Erzählerfiguren ja auch stets nach dem Ursprung der Erzählungen suchen. Und immer stoßen sie auf bereits Erzähltes.

Ach, jetzt hätte ich fast vergessen, das Wichtigste zu sagen:

Tolkiens Kullervo-Geschichte ist inzwischen erwerbbar. Verlyn Flieger hat sie in Tolkien Studies 7 (2010) veröffentlicht.

Das Manuskript hatte in der Bodleian Library in Oxford gelagert und Flieger hatte es dort transkribiert und uns zugänglich gemacht.

Der Vergleich zwischen Willima Morris und den frühen Werken Tolkiens wäre sicher sehr ergiebig. Morris soll laut Wikipedia als erster eine rein imaginierte Welt mit dem Element des Supernaturalen verbunden haben ->

William perhaps the first modern fantasy writer to unite an imaginary world with the element of the supernatural

http://en.wikipedia....eyond_the_World

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Ich fürchte allerdings, dass dieses Thema, wollte man es ausführen, erneut von diesem Thread abgespalten werden müsste.

Möglich. Ich finde das Thema allerdings sehr interessant, von der Schwarz-Weiss-Theorie habe ich nie viel gehalten.

wissen von ihrer Existenz taten wir nur aus dem Brief Tolkiens an Edith von Oktober 1914 (Brief 7).

Bei mir Brief 1 ;-)

Vielen Dank jedoch auf den Hinweis auf Morris, ich habe mir gestern etwas von ihm bestellt.

.oO(Vor allem die Geschenkpapierbögen finde ich toll ...)

William Morris wäre dann vermutlich auch als eine Brücke zwischen der literarischen Romantik und Tolkien anzusehen: denn auch die Romantik hatte mittelalterliche Sagen aufgegriffen und neu gestaltet.

Zumindest eine. Tolkien dürfte über einen breitgefächerten Zugriff auf die Literatur seiner Landsleute gehabt haben.

Wenn wir nun schon bei der romantischen Rezeption mittelalterlicher Stoffe angelangt sind, scheint mir eine Analogie auf der Hand zu liegen, von der man auch selten hört. Mittelalterliche Mythen- und Legendenschreiber standen vor der Problematik, dass durch das Evangelium die Offenbarung kirchlicherseits als abgeschlossen galt. Eigene mythische Stoffe zu erfinden barg immer die Gefahr, als Häretiker bezeichnet zu werden. Geschichten wie beispielsweise die Gralslegenden versuchten daher, an biblisches Anzuknüpfen und genau dort Passagen auszubauen, die in der christlichen Überlieferung offen gelassen worden waren. Dabei wurde darauf geachtet, dass das Neue nicht im offensichtlichen Widerspruch zum Christentum stand.

Wenn man Tolkiens persönliche Aussagen über seine Religiösität zu Grunde legt, kann man davon ausgehen, dass er in einer ähnlichen Situation stand und seinem Mythos ebenso versucht hat, in Vorhandenes einzufädeln; ganz nach Vorbild dieser ersten "Romanschreiber".

Und der Witz ist: selbst Homer hat schon Kunstsagen geschaffen, ebenfalls die Edda: nirgens liegen da echte Volkssagen vor, sondern stets wurden - unter dem Aspekt der jeweiligen Weltanschauung - um diese Sagen herum ein epischer Kosmos gebaut.

Schön, das so von dir zu lesen. Ich sehe Tolkien auch in dieser Reihe.

Ach, jetzt hätte ich fast vergessen, das Wichtigste zu sagen:

Tolkiens Kullervo-Geschichte ist inzwischen erwerbbar. Verlyn Flieger hat sie in Tolkien Studies 7 (2010) veröffentlicht.

Erwerben ist gar nicht so leicht. docs.google.com gibt den Text aber nach ein wenig Suchen frei ;-)

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Gast Dunderklumpen

Ich fürchte allerdings, dass dieses Thema, wollte man es ausführen, erneut von diesem Thread abgespalten werden müsste.

Möglich. Ich finde das Thema allerdings sehr interessant, von der Schwarz-Weiss-Theorie habe ich nie viel gehalten.

Ich sollte das vielleicht noch mal präzisieren, ich hab mich da, sehe ich jetzt, etwas unglücklich ausgedrückt:

Die Werke, die in das sog. Legendarium gehören, sind schon dualistisch geschrieben. Da gibt es klar zwei Seiten, die richtige und die falsche, die gute und die böse. Dass es Mischfiguren gibt, widerspricht dem nicht.

In seiner Theorie hingegen deutet er an, dass das Böse nur von Menschen so genannt wird.

Nimmt man aber die moralischen Fragen mal weg, dann kann man schon sehen, dass Tolkiens Gesamtwerk den Gedanken "Einheit in der Vielfalt" ausdrückt, auch wenn Tolkien das theorietechnisch vielleicht nirgends formuliert haben sollte. Die verschiedenen Varianten der Erzählungen - variantenreich legt sie Tolkien ja mitunter ganz bewusst selber an - korrespondieren mit dem Variantenreichtum von Menschen.

Aber, wie gesagt: in diesem Thread lässt sich das wohl nicht vertiefen. Die deutsche Romantik jedenfalls hat als einen ihrer Hauptpunkte die ständige Verwandlung aller Dinge ineinander.

wissen von ihrer Existenz taten wir nur aus dem Brief Tolkiens an Edith von Oktober 1914 (Brief 7).

Bei mir Brief 1 ;-)

Joo, Brief 1. Angegeben war p. 7, und ich hab mich da verlesen.

Wenn wir nun schon bei der romantischen Rezeption mittelalterlicher Stoffe angelangt sind, scheint mir eine Analogie auf der Hand zu liegen, von der man auch selten hört. Mittelalterliche Mythen- und Legendenschreiber standen vor der Problematik, dass durch das Evangelium die Offenbarung kirchlicherseits als abgeschlossen galt. Eigene mythische Stoffe zu erfinden barg immer die Gefahr, als Häretiker bezeichnet zu werden. Geschichten wie beispielsweise die Gralslegenden versuchten daher, an biblisches Anzuknüpfen und genau dort Passagen auszubauen, die in der christlichen Überlieferung offen gelassen worden waren. Dabei wurde darauf geachtet, dass das Neue nicht im offensichtlichen Widerspruch zum Christentum stand.

Wenn man Tolkiens persönliche Aussagen über seine Religiösität zu Grunde legt, kann man davon ausgehen, dass er in einer ähnlichen Situation stand und seinem Mythos ebenso versucht hat, in Vorhandenes einzufädeln; ganz nach Vorbild dieser ersten "Romanschreiber".

Das ist eine sehr interessante Aussage, Orald.

In den von Flieger neu herausgegebenen Texten Tolkiens zu den Vorarbeiten zu "On Fairy-stories" gibt es ein Skript, in dem Tolkien über die fairies spricht und zwischendurch lateinsche Gebete einfügt, die da eigentlich gar nichts zu suchen haben.

Was ich dabei empfunden hatte, war: Tolkien weiß selber, dass fairies nicht in die kirchliche Tradition gehören, dass er sie selber aber als Wahrheit wahrnimmt und einfach nicht anders kann.

Ich habe da zum erstenmal zu spüren gemeint, dass Tolkien in einem seelischen Konflikt war, vielleicht sogar in einem sehr heftigen. Und die Gebete habe ich wie Stoßgebete empfunden, die ihm selber helfen sollten.

Er scheint dann aber für sich entschieden zu haben - und so steht es im veröffentlichten "On Fairy-stories": Gott hat Menschen UND die fairies geschaffen.

Was ich so nicht wusste - und Du oben geschrieben hast - ist, dass auch frühere Mythenschreiber sich bemüht hatten, ihre literarischen Kreationen biblisch bzw. kirchlich anzubinden.

Dass so manches in "On Fairy-stories" als "häretisch" angehen werden könnte, ist mir allerdings immer klar gewesen.

Eventuell ist es Tolkien aber gelungen, für die Akzeptanz mythischer Erzählungen zu werben und da eine Brücke zu schlagen zwischen sog. heidnischer und sog. christlicher Welt.

Er hat sich ja von Anfang an darum bemüht, das Positive der untergegangenen heidnischen Welt zu retten und wieder salonfähig zu machen.

Und das tat die Romantik ebenfalls.

Bearbeitet von Dunderklumpen
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Die Werke, die in das sog. Legendarium gehören, sind schon dualistisch geschrieben. Da gibt es klar zwei Seiten, die richtige und die falsche, die gute und die böse. Dass es Mischfiguren gibt, widerspricht dem nicht.

OK, das sehe ich dann wohl anders. Ich denke dabei auch nicht nur an Götter wie beispielsweise Makar, Mandos und viele andere, an die Noldor mit ihrem Fluch (und Verhalten) etc. sondern insbesondere an die Menschen, um die es ja letztlich geht: die Geschichte der Kinder Hurins, die Hobbits (insbesondere Gollum) sind für mE nicht so einfach zu klassifizieren. Dass es Extreme gibt, muss nicht nur als Schwarzweiss dargestellt werden.

Ich dachte bei meiner Rede von Einheit in Vielheit allerdings eher an etwas anderes:

Der ungeheure Detailreichtum, die aufwändig und liebevoll ausgestalteten Facetten, leisten bei Tolkien alle ihren Beitrag zum Ganzen. Aus ihnen erwächst eine ästhetische Harmonie, die dem romantischer Ideal des Ineinanderfallens von Vielheit in Einheit entspricht. Beispiele sehe ich als wiederkehrendes Grundmuster:

  • Es wird ein kleiner Hobbit benötigt, um den großen und gefährlichen Drachen Smaug zu besiegen, von der Aufgabe Frodos ganz zu schweigen
  • Immer wieder sind es aufgrund ihrer Gegensätzlichkeit eigentlich unmögliche Liebesbeziehungen, aus denen die Geschichte zu neuen Höhepunkten ansetzt:
    Thingol und Melian, Beren und Luthien, Aragorn und Arwen
  • Besonders auffällig scheint mir die Verbindung von christlichem Monotheismus und überquellendem Götterhimmel
  • ...

Was ich dabei empfunden hatte, war: Tolkien weiß selber, dass fairies nicht in die kirchliche Tradition gehören, dass er sie selber aber als Wahrheit wahrnimmt und einfach nicht anders kann.

Es gibt aber auch die Deutungsmöglichkeit, dass Tolkien gerade in Bezug auf Elben an christliche Symbolik dachte. Wie man z.B. Maria im Mittelalter als Einhorn darstellte, wären auch Tolkiens Erfahrungen in christliche Symbolik integrierbar. Ich glaube, dass er das auch durchaus versucht hat. Man muss es nicht so weit sehen, wie in diesem Artikel, aber die Richtung würde auch einiges erklären.

Dass so manches in "On Fairy-stories" als "häretisch" angehen werden könnte, ist mir allerdings immer klar gewesen.

Seltsam. Bei mir war es wohl vor allem dieser Aufsatz, der für mich das Christentum interessanter gemacht hat. Als häretisch habe ich ihn nie empfunden.

Er hat sich ja von Anfang an darum bemüht, das Positive der untergegangenen heidnischen Welt zu retten und wieder salonfähig zu machen.

Ja. Und das wohl ganz im Sinne des von mir sehr geschätzten Davilas, der zu dem Thema meinte: "Nur der ist ein wahrer Katholik, der die Kathedrale seiner Seele über heidnischen Krypten errichtet."

P.S.

Bitte entschuldige, dass ich doch ein wenig hier auch ausschweifend war, aber der Thread ist nicht so rege besucht, dass die Übersichtlichkeit nicht gewahrt bliebe, denke ich.

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Gast Dunderklumpen

Die Werke, die in das sog. Legendarium gehören, sind schon dualistisch geschrieben. Da gibt es klar zwei Seiten, die richtige und die falsche, die gute und die böse. Dass es Mischfiguren gibt, widerspricht dem nicht.

OK, das sehe ich dann wohl anders. Ich denke dabei auch nicht nur an Götter wie beispielsweise Makar, Mandos und viele andere, an die Noldor mit ihrem Fluch (und Verhalten) etc. sondern insbesondere an die Menschen, um die es ja letztlich geht: die Geschichte der Kinder Hurins, die Hobbits (insbesondere Gollum) sind für mE nicht so einfach zu klassifizieren. Dass es Extreme gibt, muss nicht nur als Schwarzweiss dargestellt werden.

Deine Aussage habe ich hier nicht wirklich verstanden. Auch nicht, inwiefern ich etwas anderes gesagt hätte.

Aber ich bin auch unsicher in den Begrifflichkeiten. "Werke, die das Legendarium betreffen", sind für mich vermutlich nur LotR imd "Der Hobbit". Und noch präziser: ich sehe eigentlich gar kein Legendarium.

Wie gerade im Parallelthread geschrieben - den über die Wertigkeit von Literatur -, sehe ich gerade in den Silmarillion-Sagen das Gegenteil von Dualismus. Aber das ist durch die Figurenkonstellation, durch die Handlung deutlich.

In den genannten Romanen hingegen ist klar, was unter "böse" und "gut" verstanden wird. Jedenfalls sehe ich das im Moment so. Ich habe noch kein Gegenbeispiel gefunden.

Dem anderen von Dir Geschriebenen kann ich grad nichts hinzufügen oder entgegensetzen. Es reicht mir oft, einfach nur eine Ansicht zu lesen und zu verstehen. Ich mag sie nicht immer kommentieren, sehe mich oft nicht dazu befugt.

Zum Threadthema:

Es gibt über den Vergleich zwischen Coleridge und Tolkien bezüglich Imagination/Faerie einen Essay, der auch in Tolkien Studies 7 steht. Dass er uns hier weiterbringt, glaube ich nach flüchtigem Überlesen zwar nicht, aber ich wollte ihn dennoch erwähnt haben.

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Ich habe deine posts über den literarischen Wert Tolkiens im Nebenthread gelesen, finde die Inhaltlichen sehr schön zusammengefasst, die Kommentare recht amüsant ;-)

Insbesondere über die Möglichkeiten im Forum gebe ich dir recht, man kann hier nur grundsätzliche Gedanken anschneiden und austauschen. (Meine Signatur geht ja auch in die Richtung)

Ich schätze den Ansatz, verstehen zu wollen, auch sehr. Auch mir geht es nicht darum, irgendwo recht zu haben, sondern verschiedene Ansätze zu erlernen und (für mich) auf Plausibilität hin zu überprüfen. Dabei kann ich gerne unterschiedliches nebeneinander stehen lassen, aber dennoch reite ich oft auf genau diesen Unterschieden rum, weil mir gerade hier oft deutlich wird, was einen Ansatz wirklich ausmacht, oder wie der Blickwinkel des anderen ist. So ist mir bei dir aufgefallen dass ich 95% von dem, was du sagst, gut und gerne auch so sagen könnte, aber irgendwie scheinst du Dinge die mir dann evident erscheinen dennoch ganz anders zu sehen. Ich weiss nicht, ob das am Grundverständnis liegt, oder am Sprachlichen. Das ist ein Grund, warum ich mich hier im Forum doch mehr äußere, als eigentlich geplant ;-)

Ob wir bzgl. des Schwarzweissschemas im HDR so unterschiedlicher Meinung sind, weiss ich nicht. Mir scheint dort das gleiche Verständnis von Gut und Böse vorzuherschen wie im Sil (und im drumrumliegenden - das Wort Legendarium stammt glaub ich von dir?) .

Für die Tolkien Studies 7 muss ich mir erst mal Zeit nehmen, das kann eine Weile dauern ...

Liebe Grüße und Danke für die interessanten Denkanstöße,

Orald

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Gast Dunderklumpen

Dabei kann ich gerne unterschiedliches nebeneinander stehen lassen, aber dennoch reite ich oft auf genau diesen Unterschieden rum, weil mir gerade hier oft deutlich wird, was einen Ansatz wirklich ausmacht, oder wie der Blickwinkel des anderen ist.

Nehmen wir einmal den Punkt, wo Du dargelegt hattest, dass auch frühere Mythenschreiber darauf geachtet haben, darauf achten mussten, dass man mit gewissen Regeln der katholischen Kirche nicht in Konflikt kam - weil die Offenbarung als abgeschlossen galt. Insofern habe man sich bemüht, die Widerspruchslosigkeit zu diesen abgeschlossenen Offenbarungen aufzuzeigen, um nicht als Häretiker zu gelten.

Diesen Hinweis fand ich sehr fruchtbar für mich und fügte hinzu, dass manche Stellen in Tolkiens "On Fairy-stories" mir ja früher auch als grenzwertig bezüglich Häresie vorgekommen seien und dass Tolkien eventuell da öfter in einem Gewissenskonflikt war.

Daraufhin schriebst Du, dass Du selber da nie Häresie gesehen hast.

Das machte mich nun ratlos, weil ich jetzt nicht mehr wusste, warum Du den Hinweis mit der Häresie gegeben hattest.

Darum habe ich dieses Thema dann fallen lassen.

So ist mir bei dir aufgefallen dass ich 95% von dem, was du sagst, gut und gerne auch so sagen könnte, aber irgendwie scheinst du Dinge die mir dann evident erscheinen dennoch ganz anders zu sehen. Ich weiss nicht, ob das am Grundverständnis liegt, oder am Sprachlichen. Das ist ein Grund, warum ich mich hier im Forum doch mehr äußere, als eigentlich geplant ;-)

Für mich ist das schon eine Menge, wenn man Tolkien nicht als Rollenspieler hinstellt, der eine "Welt gebaut" hat und den man literaturtechnisch nicht untersuchen dürfe. Für mich bedeutet es viel, wenn man versteht, dass Tolkien inerhalb einer literarischen Tradition steht und man ihn in Zusammenhang mit dieser Tradition verstehen möchte.

Bei jedem Schriftsteller ist das ganz normal, nur bezüglich Tolkien muss man mit Ärger rechnen, wenn man ihn als Schriftsteller sieht und ihn mit Methoden, die fast seit Jahrtausenden ausgebildet wurden - und in denen auch Tolkien ausgebildet wurde -, befragt und untersucht. Da bekommt man leicht Dreck ins Gesicht geschleudert, und ich neige dann zur Flucht.

Insofern bin ich über Deine Existenz hier sehr froh, denn mit Dir komme ich im Disput weiter. Wir haben gleiche Grundvoeraussetzungen, und ich muss meinen Ansatz nicht verteidigen, sondern man kann Erkenntnisse austauschen.

Ich bin aber auch gebranntes Kind. Vieles, was zunächst ähnlich aussieht, kann aus ganz unterschiedlichen eigenen Denk- und Erfahrungstraditionen kommen.

Aber natürlich auch umgekehrt: Vieles, was erst sehr verschieden aussieht, kann nur verschieden ausgedrückt worden sein.

Insofern genügt es mir eigentlich, wenn die Grundvoraussetzungen übereinstimmen. Dass verschiedene Leute zu verschiedenen Beurteilungen bei Tolkien kommen, ist das Noirmalste von der Welt, kein Tolkieninterpret kommt zu dem absolut gleichen Ergebnis wie sein Kollege. Das ist bei Thomas Mann oder Franz Kafka nicht anders.

Bei mir kommt hinzu, dass ich, je mehr ich Tolkien lese und untersuche, desto mehr dazu neige, eigene Sichtweisen zu hinterfragen. Ich kann immer nur sagen: 'So stellt sich das mir im Moment dar', aber es kann auch ganz anders sein.

Insofern würde ich, wenn ich jemals den LotR gründlich analysieren würde, vermutlich zu der Haltung kommen: Wenn man von Position A aus das Werk betrachtet, kommt man zu Ergebnis A'. Und wenn man das Werk von Position B aus betrachtet, kommt man zu Position B'.

Dennoch sind diese Positionen nicht beliebig. Die verschiedenen Positionen müssen nachweisbar aus dem Werk generiert werden können. Es gilt für mich also nicht "anything goes".

Jendefalls nicht in einer ernsthaften Analyse. Für den Privatgebrauch mache ich da aber keine Einschränkungen. Auch aus Missverständnissen kann für die Privatperson viel Sinnvolles erwachsen. Literatur darf auch missverstanden werden, dazu ist sie da. :O

Ich selber aber versuche, mich in das Gesamtwerk mehr und mehr einzufühlen, um die Intention Tolkiens - die teilweise sehr unbewusst ist, aber sich in den Werken dennoch zeigt - herauszufinden.

Ob wir bzgl. des Schwarzweissschemas im HDR so unterschiedlicher Meinung sind, weiss ich nicht. Mir scheint dort das gleiche Verständnis von Gut und Böse vorzuherschen wie im Sil (und im drumrumliegenden - das Wort Legendarium stammt glaub ich von dir?) .

Ja, das Wort "Legendarium" habe ich selber ins Gespräch gebracht, hab mich dann aber selber angeblafft, weil ich merkte, dass das mehr Missverständnis bringt als Verständnis.

Ich wollte mit dem Wort nur bestimmte andere Werke voräufig ausschließen, weil ich bei denen diese Problematik zwischen "gut" und "böse" so nicht sehe. Da gibt es keinen bösen Melko, als Beispel, der alles kaputt macht.

Wärst Du in der Lage, zu umreißen, wie Du Tolkiens Verständnis von gut und böse im LorR siehst?

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Nehmen wir einmal den Punkt, wo Du dargelegt hattest, dass auch frühere Mythenschreiber darauf geachtet haben, darauf achten mussten, dass man mit gewissen Regeln der katholischen Kirche nicht in Konflikt kam - weil die Offenbarung als abgeschlossen galt. Insofern habe man sich bemüht, die Widerspruchslosigkeit zu diesen abgeschlossenen Offenbarungen aufzuzeigen, um nicht als Häretiker zu gelten.

Diesen Hinweis fand ich sehr fruchtbar für mich und fügte hinzu, dass manche Stellen in Tolkiens "On Fairy-stories" mir ja früher auch als grenzwertig bezüglich Häresie vorgekommen seien und dass Tolkien eventuell da öfter in einem Gewissenskonflikt war.

Daraufhin schriebst Du, dass Du selber da nie Häresie gesehen hast.

Das machte mich nun ratlos, weil ich jetzt nicht mehr wusste, warum Du den Hinweis mit der Häresie gegeben hattest.

Darum habe ich dieses Thema dann fallen lassen.

Ah. Ich glaube, das verstehe ich.

(Ist es zu frech, dieses Verhalten ein wenig in die Nähe der Art von Fluchttieren zu stellen? ;-) )

Aber vielleicht kurz zur Erklärung meiner Motivation für diese Posts.

Vorweg: Ich selbst bin stark katholisch geprägt und sehe auch hier eine Verwandschaft zu Tolkien. Gerade die englsichen Katholiken finde ich interessant, in neuerer Zeit vor allem Newman, Tolkien aber liegt mir besonders am Herzen. Ich gehe eigentlich nicht mit meiner Religion hausieren, in diesem Falle ist es aber wohl für das Verständnis sinnvoll, wenn du das weist.

Auf den Zusammenhang der Gralsliteratur mit der von mir genannten Offenbarungsproblematik bin ich schon früh im Studium aufmerksam geworden, die Zusammenhänge mit Tolkien sind mir über einen Prof. der Uni Wien, Fachgebiet Mediävistik, näher bekannt gemacht worden. Ich habe Tolkien seit dem immer mehr auch als religiösen Autoren gesehen. (Was übrigens auch für Coleridge wichtig war, wenngleich sein Christentum wenig mit Tolkiens gemein hatte)

Nun, es mag sich mit dieser Ausgangssituation so verhalten oder nicht, ich meine auf jeden Fall, dass wir aus dieser Annahme unterschiedliche Schlüsse gezogen haben und da wollte ich ein wenig nachfragen, indem ich meine Ansicht deinen Schlußfolgerungen entgegengestellt habe.

Wenn ich dich richtig verstehe, war deine Position in etwa Folgende: Auf Grund des abgeschlossenen Offenbarunsmythos sei Tolkien im Zwiespalt gewesen, die von ihm als real erkannten Elben (und anderes) könnten der katholischen Dogmatik widersprechen. Teile seiner theoretischen Überlegungen (On Faery Stories) seien zudem häretisch, und daraus habe er einen Ausweg gesucht, den er dann mehr oder weniger gefunden hat. Habe ich dich da richtig verstanden?

Ich habe dem entgegnet, dass ich seinen Aufsatz nicht häretisch finde, ich auch nicht wirklich glaube, dass ihn eine solche Angst getrieben hat. Ich spüre bei Tolkien ein "sentire cum ecclesia" in sehr hohem Masse, so dass ich denke, seine Erzählungen sind generell aus dem Glauben heraus geboren und nicht erst später passend gemacht. Mein Bezug zu Davila sollte verdeutlichen, dass es auch andere katholische Autoren gibt, die heidnische Götterwelten innerhalb einer streng-katholischen Dogmatik für sehr wichtig halten und da kein Problem sehen. Der Ansatz, seinen Mythos mit der christlichen Offenbarung kompatibel auszubauen, scheint mir daher nicht formaler Natur, quasi um einem Dogma zu genügen, sondern als Teil seines Wahrheitsverständnisses, welches u.a. in der Eukatastrophe zum Ausdruck kommt, begründet zu sein.

Ich weiss nicht, ob wir da wirklich sehr unterschiedlich denken oder ob wir uns nur unterschiedlich ausdrücken. Das herauszufinden war mein eigentliches Anliegen.

Für mich ist das schon eine Menge, wenn man Tolkien nicht als Rollenspieler hinstellt, der eine "Welt gebaut" hat und den man literaturtechnisch nicht untersuchen dürfe. Für mich bedeutet es viel, wenn man versteht, dass Tolkien inerhalb einer literarischen Tradition steht und man ihn in Zusammenhang mit dieser Tradition verstehen möchte.

Das, und deine folgenden Ausführungen, empfinde ich wohl sehr ähnlich.

Schön, es bei jemandem fremden in dieser Form ausgedrückt zu lesen. :-)

Wärst Du in der Lage, zu umreißen, wie Du Tolkiens Verständnis von gut und böse im LorR siehst?

Eine Definition ist schwer, wenn sie umfassend und treffend sein sollte. Ich denke, der Herr der Ringe zeigt mehrere Ansätze. Beispielsweise ist Denethor ein gutes Beispiel dafür, wie das "Böse" im Menschen wirkt. (Im Gegensatz zu Theoden, den ich hier als Kontrapunkt sehe.)

Es scheint mir nicht damit getan, Orks als Böse und Elben als Gut hinzustellen. Die Elben im Nachtwald sind im Hobbit nicht nur Gut, was der Streit zwischen Zwergen und Elben zeigt. Wenn Orks tatsächlich und von Grund auf Böse sind, so ist das mE eine Ausnahme. Genaugenommen werden Orks ja auch nur skizziert, viel wissen wir nicht über sie. Zudem ist eine Reduktion auf den HDR oft wenig sinnvoll, wenn die Protagonisten auch ausserhab auftreten und von dort vor allem ihr Profil erhalten.

Ich möchte es aber auf deinen Wunsch hin einmal so zusammenfassen, ohne zu Behaupten, dass das der Weisheit letzter Schluss wäre: Böse ist es im HDR, wenn man das Streben nach Gutem, vor allem die Hoffnung, aufgibt. Dies geschieht, wenn man sich zur Erreichung von Zielen an Artekfakte bindet, sei es aus Herrschsucht oder Verzweiflung. Es ist aber nicht so, dass nicht auch immer Rettung möglich wäre. Gerade eben die Hoffnung durchbricht jedes Schwarzweissschema.

Bearbeitet von Orald
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Gast Dunderklumpen

Hallo Orald,

danke für Deine Erklärungen.

Ich greife nur einmal einen einzigen Punkt heraus:

Beispielsweise ist Denethor ein gutes Beispiel dafür, wie das "Böse" im Menschen wirkt. (Im Gegensatz zu Theoden, den ich hier als Kontrapunkt sehe.)

So, wie Du es beschreibst, ist es für mich Dualismus. Da definiert ist, was "böse" ist.

Ich kann mich da meist nicht verständlich machen, hoffe aber, dass es mir hier gelingt.

Ich habe aber eben im LotR - bisher - immer nur diese Art von Dualismus gefunden. Also sozusagen den Dualismus zwischen Konstruktion - Destruktion.

Einen Ansatz, diesen Dualismus aufzuheben, fand ich in Ansätzen aber eben in den Silmarillion-Sagen.

Eine Aufhebung des Dualismus wäre für mich: Es gbt nur Konstruktives. Alles, was geschieht, ist konstruktiv - auch dann, wenn es vorübergehend schadet. Eine Grippe kann sich sehr negativ auf einen Menschen auswirken, aber sie ist konstruktiv, sie zwingt den Menschen zur körperlichen Ruhe, die er freiwillig sonst nicht geben würde.

Oder, mit anderen Worten: Ein nach außen hin destruktiv wirkender Mensch sucht durch diese Destruktion nach neuen Konzepten. Die alten mussten zerstört werden, weil alles wächst.

Was ich da eben schrieb, ist meine Grundhaltung, auch wenn sie oft verd.ammt schwer durchzuhalten ist, wenn man mit etwas konfrontiert wird, wo meine Natur erst mal sagt: da liegt Boshaftigkeit vor. Da verzweifele ich am Menschen.

Dennoch gelange ich am Ende wieder zu dieser Grundhaltung: was ist schief gegangen, dass das Destruktive sich dermaßen breit machen musste. Was will mir das Destruktive sagen. Was muss erneuert werden.

Ich hoffe, ich konnte rüberbringen: ich sehe das Böse nicht als Entität, sondern als Teil eines Gesamtprozesses. Es kann genauso als Konstruktives betrachtet werden, wenn man den Gesamtzusammenhang berücksichtigt.

Die Frage, ob Tolkien in dem beschriebenen Sinne - in seinem Werk - dualistisch denkt oder nicht, ist für mich noch nicht beantwortet.

Ich sehe es wie Du, dass das "Anhaften" - oder anders ausgedrückt: die Verdinglichung, oder noch anders ausgedrückt: die Entfremdung - die Gefährung des Menschen ist und von Tolkien zumindest im Sil-Komplex dichterisch gestaltet wurde.

Nicht das Erschaffen der Silmarilli war das Problem, sondern das Sich-nicht-lösen-Können von ihnen wurde zum Problem.

Das Gleiche haben wir schon im "Hobbit", in Form des Arken-Steins.

Der Einzige, der frei ist, ist Tom Bombadil. Aber das hat auch seine Kehrseite: Tom taugt nicht, in die Verantwortung genommen zu werden. Der Eine Ring wäre bei ihm schlecht aufgehoben. Tom ist in dem Sinne nicht sozial.

Und das ist der Grundkonflikt, den Tolkien immer wieder schildert: sich selber lösen von den Dingen, um nicht in Abhängigkeit und - daraus oft erwachsend - Hass zu gelangen auf der einen Seite.

Verantwortlich sein und Schuld auf sich nehmen: die andere Seite.

Das waren jetzt fragmentarische Gedanken...

Bearbeitet von Dunderklumpen
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Ich glaube, so weit liegen wir da gar nicht auseinander. Das Grundkonzept, wo Illuvatar zu Melkor sagt, dass alles was er an Bösem zu schaffen vermag letztlich doch zum Guten gereichen wird, ist mE das Schlüsselkonzept, das hinter allem steht. Insofern ist das Böse kein "Gegenprinzip".

Denethor ist nicht "Böse", er ist schwach. Er hat aufgegeben, die Hoffnung verloren und ist damit gefallen. Wer sich an ein Artefakt bindet, tut dies aus Schwäche, nicht aus Boshaftigkeit, auch da, wo er es zur Machtergreifung will (Boromir...). Böses kann aber aus dieser Schwäche entstehen. Ich sehe das so, dass die Folgen von Handlungen durchaus vom eigentlichen Thema der Musik Illuvatars abweichen können und somit auch andere stören können. (Die Ainur, die Melko nahe sassen). Dass sie letztlich dennoch in den Gesamtplan gehören, insofern sie Geschöpfe sind, ist eben der Faden, aus dem sich letztendliche Hoffnung - die Eukatastrophe - entwickelt.

Dualismus (wie ich ihn z.B. aus der Gnosis kenne) ist die Vorstellung von zwei mehr oder weniger gleichstarken Gegensätzen, evtl. mit einem Vermittler. Sowas sehe ich bei Tolkien nicht.

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Gast Dunderklumpen

Ich glaube, so weit liegen wir da gar nicht auseinander. Das Grundkonzept, wo Illuvatar zu Melkor sagt, dass alles was er an Bösem zu schaffen vermag letztlich doch zum Guten gereichen wird, ist mE das Schlüsselkonzept, das hinter allem steht. Insofern ist das Böse kein "Gegenprinzip".

Für mich wäre erst dann das dualistische Prinzip aufgehoben, wenn das, was Melkor anrichtet, ihm selber zum Guten werden wird. Wenn seine Zerstörungssucht im Eigentlichen ein Schrei nach Konstruktivem ist.

Da er ja keine reale Person ist, sondern eine archetypische Figur, wäre für mich das Zusammenspiel von Iluvatar und Melkor notwendig. Iluvatar müsste den Melkor in sich realisieren, und Melkor den Iluvatar in sich. Solange beide sich bekämpfen, statt einander zu integrieren, wird die dualistische Kultur - nach meinem Verständnis - fortgesetzt.

Denethor ist nicht "Böse", er ist schwach.

Okay.

Dualismus (wie ich ihn z.B. aus der Gnosis kenne) ist die Vorstellung von zwei mehr oder weniger gleichstarken Gegensätzen, evtl. mit einem Vermittler. Sowas sehe ich bei Tolkien nicht.

Nein, in dem Sinne nicht. Aber unsere ganze abendländische Kultur baut auf diesen gleichstarken Gegensätzen nicht auf, und dennoch ist sie durch und durch dualistisch. Man nehme nur Descartes, der Leib und Seele getrennt sieht. Selbst unsere Medizin tut sich noch immer schwer darin, bei einer Krankheit beides in Verein zu sehen.

Hier eben habe ich die Frage, ob Tolkien über diese Art Dualismus hinausgekommen ist.

Die deutsche Romantik war es - zumindest in der Konzeption. Das sogenannte Böse entstand immer dann, wenn etwas in Gefahr war und korrigiert werden musste. So wie die Managerkrankheit auf etwas aufmerksam machen will.

Für mich sieht es so aus: Wenn der Kurswechsel vorgenommen wurde - nachdem die Destruktion entstanden ist -, ist auch die Destruktion verschwunden. Das Entstehen von Destruktivem ist ein Indikator für Fehllauf.

Aber ich erwarte hier nicht, dass man das sieht wie ich.

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Gast Dunderklumpen

- 2 -

Und vielleicht noch zu diesem Punkt:

Aber vielleicht kurz zur Erklärung meiner Motivation für diese Posts.

Vorweg: Ich selbst bin stark katholisch geprägt und sehe auch hier eine Verwandschaft zu Tolkien.

[...]

Ich habe Tolkien seit dem immer mehr auch als religiösen Autoren gesehen.

Erst einmal danke für Deine Offenheit.

Ich denke, es gibt sehr unterschiedliche Motivationen, sich mit einem Autor zu beschäftigen, und jeder Leser hat seine Prämissen (nicht selten auch unbewusste), die seine Leseinteressen in ein bestimmtes Fahrwasser steuern.

Diese unterschiedlichen Prämissen - sagt der Idealist in mir -, können trotz unterschiedlicher Prägung verwandter sein als es aussehen mag. In der Tiefe können sie verwandt sein. Ich bin eigentlich immer auf der Suche nach dieser "Tiefenverwandtschaft", auch zwischen gläubigen und nicht-gläubigen Menschen.

Ich selber lese Tolkien nicht als religiösen Autor. Es sei denn, ich fasse Religiosität so weit, dass ich sagen kann: ich lese sämtliche Autoren als religiöse Autoren: religiös in dem Sinn, dass sie die Tiefendimension des Menschen und der Beziehungen der Menschen zueinander erfassen und wiedergeben, eventuell sogar gestalten möchten.

Da ich protestantisch erzogen worden bin bzw. mich selber eine Weile so erzogen habe, liegt mir der Theologe Paul Tillich nahe: "In der Tiefe ist Wahrheit". Künstler wollen oft diese Tiefe verstehen und wiedergeben, auch ohne Bindung an eine bestimmte Religion.

Der Idealist in mir sucht nach dem gemeinsamen Anthropologischen in diesem Bestreben, auch wenn ich da oft gescheitert bin. Aber mitunter eben auch nicht.

Kunst und Religion waren gerade in der Romantik oft nahe beieinander, aber - für mich - in dem Sinne religiös, dass die Alltagsrealität transzendiert wird. Diese Transzendierung braucht keine bestimmte Konfession oder Religion, auch wenn sie mitunter in christlichen Termini daherkommt.

Für mich geht die Kunst selber diesen Weg der Transzendierung. Nichts anderes lese ich auch in "On Fairy-Stories". So lese ich auch den "Schmied von Großholzingen". Und so nehme ich auch Musik wahr: als Transzendierung einer von uns festgeklopften Wirklichkeit.

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Ok, vielleicht habe ich da einen weiteren Begriff des Religiösen als du ihn nutzt. Nach meinem Verständnis kann man keinen areligiösen Mythos schreiben, da ich Mythos immer als Wort Gottes verstehe; verdeckt, im Gegensatz zum Logos. Für mich ist im Grunde alles nicht-empirische mehr oder weniger religiös. Ich gehe aber bei Tolkien noch sehr viel weiter - ich sehe den Katholiken in ihm.

Bzgl. deines ersten Posts bin ich mir nicht sicher, ob ich dich richtig verstehe. Ich habe möglicherweise etwas andere Begriffe für das, was du beschreibst. So würde ich sagen, Tolkien vertritt einen Monotheismus. Was die Romantik i.d.R. vertreten hat, und was sich für mich so in etwa liest, wie deine Beschreibung der Auflösung des Dualismus, würde ich eher einen Pantheismus nennen. Da würde auch zu passen, dass du meinst, die Romantik wäre dem näher. Im Hinblick auf das Threadthema scheint mir das hier sehr interessant - Coleridge war eindeutig dem christlichen Pantheismus zugetan, er hatte eine sehr starke plotische Prägung. Tolkien wird das ganz sicher abgestossen haben, vielleicht liegt hierin auch ein grund für die Ablehnung wie wir sie schon kurz angeschnitten hatten.

Aber kurz noch einmal zu meinem Verständnis: Ich sehe bei Tolkien einen Schöpfergott am Werk, der über allen anderen Geschöpfen existiert: Iluvatar. In sofern ist Tolkiens Entwurf wie ich ihn sehe nicht Dualistisch. Melkor versucht Eru nachzuäffen, schafft es aber nicht, selbst zu schöpfen. Sogar im Sinne der Sekundärschöpfung dürfte es zweifelhaft sein, ob Melkor diese zukommt. Das Böse ist soweit ich es dort verstehe immer Rebellion gegen den eigentlichen Schöpfungsplan, führt aber letztlich diesen dennoch auch gegen den willen des "Bösen" aus.

P.S.

Damit hast du mir übrigens reichlich zu Denken gegeben:

Der Einzige, der frei ist, ist Tom Bombadil. Aber das hat auch seine Kehrseite: Tom taugt nicht, in die Verantwortung genommen zu werden. Der Eine Ring wäre bei ihm schlecht aufgehoben. Tom ist in dem Sinne nicht sozial.

Vielen Dank für diesen erfrischenden Einwurf. Ich denke, da werde ich noch drauf zurückkommen - das beschäftigt mich :)

Bearbeitet von Orald
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Gast Dunderklumpen

Nun haben wir zwei Positionen stehen, Orald, und ich meinerseits kann dem nichts weiter hinzufügen.

Wir sollten vielelicht wieder zurück zum Thredthema, da man da konkreter Dinge untersuchen kann?

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Wir sollten vielelicht wieder zurück zum Thredthema, da man da konkreter Dinge untersuchen kann?

Eine Sache, die mir bei Coleridge auffällt ist seine Rede von der Poesie, die er wie es mir scheint oft stellvertretend für Literatur oder gar Kunst nimmt. Sein bekanntestes Stück ist ja auch eine Ballade (Die Ballade vom alten Seemann), selbst wenn er umfangreiche prosaische Schriften hinterlassen hat. Bei Tolkien tendiere ich auch immer mehr dazu, die Lyrik in den Vordergrund zu stellen auch wenn im "Herr der Ringe", oder auch im "Silmarillion" ja vor allem Prosa vorliegt - aber auch Tolkien sieht sich mE als Mythopoet.

Ich denke, hier könnte man auch eingreifen um Gemeinsamkeiten zum romantischen Literaturbegriff herauszuarbeiten, denn ich glaube schon, dass Tolkiens Werk in erster linie lyrisch verstanden werden will. Dies zeigt für mich nicht nur die Stabreimversion der Narn, sondern auch die Vielzahl an Balladen und Gedichten, die einen ganz besonderen Stellenwert haben, oder auch die Idee des Schöpfungsmythos als Musik, der die Geschichte als Lied auffasst.

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